Andrea Hofmann Kolb – «Bei uns ist halt alles immer etwas improvisiert»
Text & Bilder von Gian Hedinger und Christian Ruh
Andrea Hofmann Kolb ist immer voll auf Trab. Im Jahr 1992 schloss sie das Lehrerseminar in Kreuzlingen ab. Heute arbeitet sie neben ihrem Job als Lehrerin auch als Stadtführerin in Frauenfeld und wurde im März für die Partei «Chrampfe und Hirne» in den Stadtrat Frauenfeld gewählt. Ebenfalls ist sie Vorstandsmitglied der Genossenschaft Eisenwerk, wo sie für die Öffentlichkeitsarbeit und Führungen zuständig ist. Sie ist in Frauenfeld aufgewachsen und wohnt heute immer noch dort mit ihrem Ehemann, mit dem sie zwei Söhne hat.
Das Eisenwerk in Frauenfeld war eine der ersten Umnutzungen eines Industrieortes in der Schweiz. In Frauenfeld ecke es teilweise auch nach fast 40 Jahren noch an, erzählt die Zuständige für Öffentlichkeitsarbeit Andrea Hofmann Kolb. Ihr Ziel: Vermittlung für mehr Akzeptanz.
Andrea Hofmann Kolb vor dem ehemaligen Industriekanal. Foto: Christian Ruh
Wir treffen Andrea Hofmann Kolb im grossen Konzertsaal des Eisenwerks. Vorne steht eine etwas in die Jahre gekommene Bühne, hinten die Bar und in der Mitte ein Tisch mit einem einzelnen Stuhl. Sie hole noch rasch zwei Stühle dazu, sagt Hofmann Kolb, die hier im Eisenwerk für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, und verschwindet in einem Nebenraum. «Bei uns ist halt alles immer etwas improvisiert», sagt sie und lächelt.
Als wir uns setzen und Hofmann Kolb auf die Geschichte des Eisenwerks zu sprechen kommt, ist die Improvisation dann verflogen. Aus einer Klarsichtmappe nimmt sie ein Bild nach dem anderen hervor und erzählt. Begonnen habe alles mit Friedrich von Martini, einem ungarischen Ingenieur, der in Frauenfeld zum Industriellen wurde, sagt Hofmann Kolb und zieht aus der Mappe das Bild eines Martini-Autos. Nach Martinis Tod 1897 seien seine Geschäfte aufgeteilt worden. So entstand 1910 das Eisenwerk als Fabrik, in der Nägel, Schrauben und Muttern hergestellt wurden. In der Blütezeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte das Eisenwerk etwa 160 Angestellte.
Kultur statt Nägel und Schrauben
Gut 70 Jahre nachdem die Fabrik gegründet worden war, stand sie vor dem Aus. «Das Eisenwerk war damals wohl zu wenig mutig, zu wenig innovativ gewesen», sagt Hofmann Kolb. 1983 hatte es noch 18 Angestellte, schloss seine Fabriktüren und suchte nach möglichen Käufern. Verkaufspreis: 3,3 Millionen Franken. So viel Geld wollte niemand für die alte Fabrikhalle bezahlen. Eine Gruppe aus dem Dunstkreis der Frauenfelder Stadtpartei «Chrampfe und Hirne» hatte jedoch vom Verkauf gehört und fand, es wäre «Sünd und schade», ein so geschichtsreiches Gebäude einfach abzureissen.
Also machte die Gruppe, die sich «Arbeitsgruppe Eisenwerk» nannte, der Firma Von Moos, der das Eisenwerk damals gehörte, ein Angebot über 1,7 Millionen Franken. Dafür sollte das Fabrikgebäude erhalten bleiben und in einen Ort zum Wohnen und Arbeiten sowie für Kultur verwandelt werden. Es war damals das erste Projekt in der Schweiz, das diese Aspekte vereinte. «Die Initianten waren echte Pioniere. Noch heute bekommen wir Besuch von Gruppen, die sich unser Konzept hier anschauen möchten», sagt Hofmann Kolb.
Die Wohnungsgärten grenzen aneinander, hier muss man sich mit den Nachbarn gut verstehen. Foto: Christian Ruh
Wo früher die Presserei war, gibt es heute Konzerte. Foto: Gian Hedinger
Von Moos gefiel die Idee, die Fabrik nicht abzureissen, und akzeptierte das Angebot. Dank eines Darlehens über 1.2 Millionen Franken der Kantonalbank Thurgau und vielen kleineren Beiträgen von Verwandten, Bekannten und Firmen wurde das nötige Geld zusammengetragen und das Eisenwerk war als Kultur-, Arbeits- und Wohnort wiedergeboren. Wo früher die Presserei war, werden heute Konzerte gespielt, und in der einstigen Schnitzerei und Putzerei stehen nun 15 Wohnungen.
Vermittlung für Akzeptanz
Hofmann Kolb stiess vor drei Jahren zur Genossenschaft. Einen Bezug zum Eisenwerk habe sie natürlich schon vorher gehabt. Das erste Mal im Eisenwerk sei sie wohl für ein Konzert von Patent Ochsner gewesen. Den Ort habe sie schon damals gemocht.
So gut wie bei Hofmann Kolb kommt das Eisenwerk aber nicht überall in Frauenfeld an. «Viele sehen uns immer noch als linksalternativen Haufen und haben noch nie eine Veranstaltung hier besucht», sagt sie. Ändern könne sich das nur, wenn man sich öffne und erkläre. Deshalb biete sie auch Führungen durch das Eisenwerk an. Sie mache schon seit längerem Stadtführungen in Frauenfeld und habe daher viel Erfahrung in der Vermittlung.
Auch uns führt sie durch das Eisenwerk. Raus aus dem grossen Saal, am Eingangsbereich der Wohnungen vorbei, kommen wir hinaus zu einem mittlerweile zugeschütteten Industriekanal. Hier, zwischen dem Wasserhaus, das mittlerweile ein Architekturbüro ist, und dem Trafohaus, das zum Tiny-House wurde, ist Hofmann Kolbs Lieblingsplatz im Eisenwerk. «Ich liebe es, hier die Einflüsse von früher zu sehen. Das alte Wasserrad zum Beispiel finde ich genial», sagt Hofmann Kolb. Jammerschade sei es, dass der Industriekanal zugeschüttet wurde, nachdem ihn die Industrie für die Stromversorgung nicht mehr benötigt hatte.
Renovationen sind ein «Riesenlupf»
Das Eisenwerk funktioniert als Genossenschaft nur dank viel Freiwilligenarbeit. Auch Hofmann Kolb gehört zur Gruppe der Freiwilligen. «Angestellt sind bei uns nur zwei Hausmeister, der Geschäftsführer der Genossenschaft und die Geschäftsführerin des Kulturvereins», sagt sie.
Der Eingangsbereich zeigt direkt, worum es geht: um Kultur dort, wo einst Eisen verarbeitet wurde. Foto: Christian Ruh
Die Eingangsbereiche der Wohnungen sind im Gebäude, wirken aber fast, als wären sie draussen. Foto: Christian Ruh
Geld ist eher spärlich vorhanden. Vor ein paar Jahren habe die Genossenschaft die Fenster ersetzt. Für das Eisenwerk sei so etwas jeweils ein «Riesenlupf», sagt Hofmann Kolb. Die neuen Fenster hätten etwa ein Jahresbudget der Genossenschaft gekostet. Geld verdienen würden sie vor allem mit den Wohnungen. Wer einzieht, muss für 500 Franken einen Genossenschaftsschein kaufen und 20 % des Wohnungswertes als Darlehen an die Genossenschaft zahlen. Hofmann Kolb selbst wohnt nicht im Eisenwerk. Ihr seien die Wohnungen etwas zu wenig hell, «aber mir gefallen natürlich die alten Elemente und die erhaltene Architektur.»
Hofmann Kolb interessiert sich aber nicht nur für Historisches. Während der Führung sieht sie immer auch noch Potenzial für Verbesserungen. Hier könnte man die Wände wieder einmal neu machen, da vielleicht das Mieter:innenverfahren noch etwas verbessern und aus der aktuell noch ungenutzten Shedhalle könnte dereinst ein Klub entstehen. Das Eisenwerk als Fabrik musste wegen fehlender Innovation schliessen, dem Eisenwerk als Kulturort soll das nicht passieren.
Gian Hedinger, *2000, studiert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur Kommunikation mit der Vertiefung Journalismus. Er wohnt in Zürich, wo er während des Studiums ein Praktikum beim Regionaljournal von Radio SRF gemacht hat. Das Eisenwerk lernte er erst bei der Produktion dieses Porträts kennen.
Christian Ruh, *1995, studiert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur Kommunikation mit der Vertiefung Organisationskommunikation, sammelte aber auch schon Erfahrung im Journalismus. Christian wohnt in Frauenfeld und ist schon als Kind ab und zu an Veranstaltungen im Eisenwerk gewesen.
Das Portrait entstand 2023 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Andrea Hofmann Kolb vor dem ehemaligen Industriekanal. Foto: Christian Ruh
Wir treffen Andrea Hofmann Kolb im grossen Konzertsaal des Eisenwerks. Vorne steht eine etwas in die Jahre gekommene Bühne, hinten die Bar und in der Mitte ein Tisch mit einem einzelnen Stuhl. Sie hole noch rasch zwei Stühle dazu, sagt Hofmann Kolb, die hier im Eisenwerk für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, und verschwindet in einem Nebenraum. «Bei uns ist halt alles immer etwas improvisiert», sagt sie und lächelt.
Als wir uns setzen und Hofmann Kolb auf die Geschichte des Eisenwerks zu sprechen kommt, ist die Improvisation dann verflogen. Aus einer Klarsichtmappe nimmt sie ein Bild nach dem anderen hervor und erzählt. Begonnen habe alles mit Friedrich von Martini, einem ungarischen Ingenieur, der in Frauenfeld zum Industriellen wurde, sagt Hofmann Kolb und zieht aus der Mappe das Bild eines Martini-Autos. Nach Martinis Tod 1897 seien seine Geschäfte aufgeteilt worden. So entstand 1910 das Eisenwerk als Fabrik, in der Nägel, Schrauben und Muttern hergestellt wurden. In der Blütezeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg hatte das Eisenwerk etwa 160 Angestellte.
Kultur statt Nägel und Schrauben
Gut 70 Jahre nachdem die Fabrik gegründet worden war, stand sie vor dem Aus. «Das Eisenwerk war damals wohl zu wenig mutig, zu wenig innovativ gewesen», sagt Hofmann Kolb. 1983 hatte es noch 18 Angestellte, schloss seine Fabriktüren und suchte nach möglichen Käufern. Verkaufspreis: 3,3 Millionen Franken. So viel Geld wollte niemand für die alte Fabrikhalle bezahlen. Eine Gruppe aus dem Dunstkreis der Frauenfelder Stadtpartei «Chrampfe und Hirne» hatte jedoch vom Verkauf gehört und fand, es wäre «Sünd und schade», ein so geschichtsreiches Gebäude einfach abzureissen.
Also machte die Gruppe, die sich «Arbeitsgruppe Eisenwerk» nannte, der Firma Von Moos, der das Eisenwerk damals gehörte, ein Angebot über 1,7 Millionen Franken. Dafür sollte das Fabrikgebäude erhalten bleiben und in einen Ort zum Wohnen und Arbeiten sowie für Kultur verwandelt werden. Es war damals das erste Projekt in der Schweiz, das diese Aspekte vereinte. «Die Initianten waren echte Pioniere. Noch heute bekommen wir Besuch von Gruppen, die sich unser Konzept hier anschauen möchten», sagt Hofmann Kolb.
Die Wohnungsgärten grenzen aneinander, hier muss man sich mit den Nachbarn gut verstehen. Foto: Christian Ruh
Wo früher die Presserei war, gibt es heute Konzerte. Foto: Gian Hedinger
Von Moos gefiel die Idee, die Fabrik nicht abzureissen, und akzeptierte das Angebot. Dank eines Darlehens über 1.2 Millionen Franken der Kantonalbank Thurgau und vielen kleineren Beiträgen von Verwandten, Bekannten und Firmen wurde das nötige Geld zusammengetragen und das Eisenwerk war als Kultur-, Arbeits- und Wohnort wiedergeboren. Wo früher die Presserei war, werden heute Konzerte gespielt, und in der einstigen Schnitzerei und Putzerei stehen nun 15 Wohnungen.
Vermittlung für Akzeptanz
Hofmann Kolb stiess vor drei Jahren zur Genossenschaft. Einen Bezug zum Eisenwerk habe sie natürlich schon vorher gehabt. Das erste Mal im Eisenwerk sei sie wohl für ein Konzert von Patent Ochsner gewesen. Den Ort habe sie schon damals gemocht.
«Das Eisenwerk als Fabrik musste wegen fehlender Innovation schliessen, dem Eisenwerk als Kulturort soll das nicht passieren.»
So gut wie bei Hofmann Kolb kommt das Eisenwerk aber nicht überall in Frauenfeld an. «Viele sehen uns immer noch als linksalternativen Haufen und haben noch nie eine Veranstaltung hier besucht», sagt sie. Ändern könne sich das nur, wenn man sich öffne und erkläre. Deshalb biete sie auch Führungen durch das Eisenwerk an. Sie mache schon seit längerem Stadtführungen in Frauenfeld und habe daher viel Erfahrung in der Vermittlung.
Auch uns führt sie durch das Eisenwerk. Raus aus dem grossen Saal, am Eingangsbereich der Wohnungen vorbei, kommen wir hinaus zu einem mittlerweile zugeschütteten Industriekanal. Hier, zwischen dem Wasserhaus, das mittlerweile ein Architekturbüro ist, und dem Trafohaus, das zum Tiny-House wurde, ist Hofmann Kolbs Lieblingsplatz im Eisenwerk. «Ich liebe es, hier die Einflüsse von früher zu sehen. Das alte Wasserrad zum Beispiel finde ich genial», sagt Hofmann Kolb. Jammerschade sei es, dass der Industriekanal zugeschüttet wurde, nachdem ihn die Industrie für die Stromversorgung nicht mehr benötigt hatte.
Renovationen sind ein «Riesenlupf»
Das Eisenwerk funktioniert als Genossenschaft nur dank viel Freiwilligenarbeit. Auch Hofmann Kolb gehört zur Gruppe der Freiwilligen. «Angestellt sind bei uns nur zwei Hausmeister, der Geschäftsführer der Genossenschaft und die Geschäftsführerin des Kulturvereins», sagt sie.
Der Eingangsbereich zeigt direkt, worum es geht: um Kultur dort, wo einst Eisen verarbeitet wurde. Foto: Christian Ruh
Die Eingangsbereiche der Wohnungen sind im Gebäude, wirken aber fast, als wären sie draussen. Foto: Christian Ruh
Geld ist eher spärlich vorhanden. Vor ein paar Jahren habe die Genossenschaft die Fenster ersetzt. Für das Eisenwerk sei so etwas jeweils ein «Riesenlupf», sagt Hofmann Kolb. Die neuen Fenster hätten etwa ein Jahresbudget der Genossenschaft gekostet. Geld verdienen würden sie vor allem mit den Wohnungen. Wer einzieht, muss für 500 Franken einen Genossenschaftsschein kaufen und 20 % des Wohnungswertes als Darlehen an die Genossenschaft zahlen. Hofmann Kolb selbst wohnt nicht im Eisenwerk. Ihr seien die Wohnungen etwas zu wenig hell, «aber mir gefallen natürlich die alten Elemente und die erhaltene Architektur.»
Hofmann Kolb interessiert sich aber nicht nur für Historisches. Während der Führung sieht sie immer auch noch Potenzial für Verbesserungen. Hier könnte man die Wände wieder einmal neu machen, da vielleicht das Mieter:innenverfahren noch etwas verbessern und aus der aktuell noch ungenutzten Shedhalle könnte dereinst ein Klub entstehen. Das Eisenwerk als Fabrik musste wegen fehlender Innovation schliessen, dem Eisenwerk als Kulturort soll das nicht passieren.
Gian Hedinger, *2000, studiert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur Kommunikation mit der Vertiefung Journalismus. Er wohnt in Zürich, wo er während des Studiums ein Praktikum beim Regionaljournal von Radio SRF gemacht hat. Das Eisenwerk lernte er erst bei der Produktion dieses Porträts kennen.
Christian Ruh, *1995, studiert an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur Kommunikation mit der Vertiefung Organisationskommunikation, sammelte aber auch schon Erfahrung im Journalismus. Christian wohnt in Frauenfeld und ist schon als Kind ab und zu an Veranstaltungen im Eisenwerk gewesen.
Das Portrait entstand 2023 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.