Andreas Bommer – «Es fasziniert mich, wie die Maschine so schön dreht» 




Text & Bilder: Laura Manser und Selina Weder

Andreas Bommer ist Leiter der Mühle und verantwortlich für die Vermittlung im Mühlerama. Seit der Pandemie gibt es keinen ruhigen Tag mehr bei der Arbeit. Der Back-Hype während des Lockdown befeuerte die Nachfrage nach dem speziellen Mehl der alten Mühle. Das stört Andreas Bommer aber nicht. Die Stelle im Mühlerama würde er auch nicht so schnell aufgeben – lediglich für eine Weltreise würde er sich eine Auszeit nehmen. Zum Glück: bis zu 20’000 Besuchende pro Jahr erwarten nämlich täglich ein Mühlenspektakel.

Genau 70 Jahre lang knatterte, rumpelte und mahlte die Mühle Tiefenbrunnen vor sich hin. Dann wurde sie in das Mühlerama verwandelt. Leiter des Museums ist der einst rastlose Andreas Bommer, den dieser Job nun seit mehr als 17 Jahren glücklich macht.
 


Andreas Bommer, Museumsleiter, in der Backstube des Mühleramas.  

«Ein bisschen höher, aber nicht zu viel Spannung»: Höflich, doch bestimmt weist der Leiter der Mühle den Swissmill-Mechaniker an, der ihm gerade hilft, die Bänder der Mühle wieder am richtigen Ort zu platzieren. Allzu leicht fallen die originalen Bänder der 109-jährigen Mühle hinunter. Und dann weiss nur er weiter: Andreas Bommer – dabei hat er den Müllerberuf nicht einmal gelernt.


Von Hofarbeit und Traumberuf

Andreas Bommer hat eine bewegte Lebensgeschichte. Schon als Kind zog die Familie oft um. So wuchs er zunächst in Eschenz am Bodensee auf, danach in Kaltbrunn, dann in Siggental und zuletzt im Zürcher Quartier Tiefenbrunnen. Diese Rastlosigkeit zog sich später auch durch sein Berufsleben. Bommer wurde Primarlehrer, blieb aber nicht lange in diesem Bereich tätig. «Ich hatte irgendwann keine Lust mehr, Schule zu geben», erzählt er.


«Die Stelle als Museumsleiter ist perfekt für mich – technisch, gleichzeitig aber pädagogisch-didaktisch, weil man auch das Besucher-Programm macht.»



Daraufhin zog es ihn aufs Land nach Italien, wo er beim Aufbau eines Hofs mithalf. Auch diese Tätigkeit fand irgendwann ein Ende. Er wechselte nochmals die Branche, arbeitete im Gastgewerbe und schliesslich auf dem Bau. Spass machte ihm alles, doch immer fehlte etwas.

Zu dieser Zeit wurde im Mühlerama in Zürich eine Stelle als Mühle- und Vermittlungsleiter ausgeschrieben, inklusive der Verantwortung für die Mechanik, Produktion und Reparaturen. «Das ist perfekt für mich – technisch, gleichzeitig aber pädagogisch-didaktisch, weil man auch das Besucher-Programm macht», begründet Andreas Bommer, warum er der Stelle seit 17 Jahren treu bleibt.


Keine modernen Geräte

Sein traditionsreicher Arbeitsort blickt auf eine lange Geschichte zurück. Das Haus wurde im Jahr 1890 als Brauerei erbaut. «Das sieht man heute noch an den Plättli an der Wand, das hätte eine Mühle nicht», sagt Andreas Bommer und lächelt. Es ist keine typische Mühle.



Die Mühle Tiefenbrunnen in Zürich war 70 Jahre lang in Betrieb.



Vor der Industrialisierung gab es pro 400 Einwohner eine Mühle im Dorf. Heute gibt es in der ganzen Schweiz nur noch rund 20 Mühlen.

1913 erwarb die Zürcher Müllerfamilie Wehrli das Areal. Die Mühle war 70 Jahre in Betrieb, gegen neue Geräte oder modernere Technik wehrte sich die Familie stets. Laut Andreas Bommer ist das aus heutiger Sicht ein Glücksfall für das Museum – und eine Herausforderung für ihn.


Das Wissen dokumentieren

Es klimpert, klirrt und klappert, als Andreas Bommer mit Mühe eine grosse, hölzerne Schublade aus einem Regal hievt. Mit einem lauten Knall landet sie auf einer Arbeitsfläche neben der Mühle. Zum Vorschein kommt ein regelrechtes kleines Arsenal an alten Schrauben mit Kegelkopf. «Ich sammle sie, falls wir sie später noch brauchen», sagt Bommer. Produziert werden die meisten dieser Schrauben seit langem nicht mehr – die Herstellerunternehmen solch alter Mahlwerke sind längst ausgestorben, Ersatzteile und Lager sucht man vergebens.



Andreas Bommer sammelt alte Schrauben, die heute nicht mehr hergestellt werden.

«Das ist eine Herausforderung, man muss Lösungen suchen», sagt Bommer. Für solche Fälle pflegt er den Kontakt mit dem Müller-Verband und dem Verein Mühlenfreunde, sammelt aber auch selbst alte Werkzeuge oder Glasscheiben. Das technische Wissen über die Mühle hält er zusätzlich schriftlich fest, damit dieses auch in Zukunft weitergegeben werden kann.


Die Melodie der Mühle

Die Maschine im Mühlerama kennt Bommer gut. «Ich komme aber auch an meine Grenzen. Wenn etwas kaputtgeht, brauche ich fachliche Hilfe», sagt er. Durch die Zusammenarbeit mit Swissmill-Mechaniker:innen sei diese jedoch sichergestellt.

Zusätzliche Unterstützung gibt es von den Müllern des Mühleramas selbst; fürs Museum ist es wichtig, dass auch gelernte Müller hier arbeiten. Doch auch diese Hilfe verschwindet allmählich: «Die Müller werden natürlich auch immer jünger und kennen diese Maschine nicht mehr. Da muss dann ich ihnen erklären, worauf zu achten ist», sagt Bommer. Besonders sensibilisieren muss er neue Arbeiter:innen beispielsweise für die Brandgefahr der Mühle.

Und doch: Die Unterstützung funktioniert noch auf beide Seiten. Wenn es beispielsweise darum geht, die Mühle so einzustellen, dass das Mehl gut herauskommt, dann fragt Bommer die Müller. «Die hören, ob es gut ist, wenn das Mehl reinrieselt», sagt Bommer. «Müller haben schon immer gesagt, sie hören auf die Melodie der Mühle.»


Wissenslücken werden geschlossen

Das Museum bietet auch Vermittlungs-Programme für die kleinen Besucher:innen. Laut Bommer wüssten so manche Kinder nicht, woher ein Brot kommt: «Es gibt Fünftklässler, die vorher noch nie einen Teig in der Hand hielten». Aber auch Erwachsene würden bei einem Museumsbesuch staunen, wie schwierig es ist, Mehl herzustellen.

Begeistert schaut Andreas Bommer der Siebmaschine zu, welche die Körner sortiert. «Es fasziniert mich, wie das funktioniert. Wie das so schön dreht und nicht beginnt, umzuschwingen.» Die freischwingende Siebmaschine bleibt nämlich immer in ihren kreisförmigen Bewegungen. Erst seit Bommer übernommen hat, läuft die Maschine jeden Tag. Vorher lief sie nur während der Mehlproduktion sowie bei exklusiven Führungen. Das Ein- und Ausschalten sei die grösste Belastung für die Maschine, begründete der frühere Müller. Andreas Bommer verstand das nie ganz. Und deshalb läuft die Mühle heute zwei- bis dreimal pro Tag – zur Freude aller Besuchenden.


Selina Weder studiert Kommunikation und Journalismus an der ZHAW. Vor und während des Studiums arbeitete sie in einer Branding-Agentur, war für einen Kulinarik-Blog tätig und absolvierte ein Praktikum in der Videoredaktion von Blick TV. Das Mühlerama kennt sie bereits seit jungen Jahren – als «Mäuschen» sprang sie damals im Rahmen des Kinderprogramms selbst durch das Museum.

Laura Manser, *1999, studiert Kommunikation mit Vertiefung Journalismus an der ZHAW. Seit April arbeitet sie als Co-Leiterin in der Redaktion von Radio Stadtfilter, nebenbei als Videoproduzentin bei einer Kommunikationsagentur und bald als Videojournalistin bei TVO. Im Mühlerama war sie zuvor als Kind mit ihren Eltern zu Besuch.


Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.