Andreas Honegger – «Wir sind unsere eigenen Denkmalpfleger»
Text & Bilder: Raphael
Meier und Sharon Ramseier
Zur Hochblüte der Textilindustrie im Zürcher Oberland war die Weberei Otto & Joh. Honegger AG in Wald die grösste Weberei der Schweiz. An über tausend Webstühlen wurde in Wald tonnenweise Baumwolle zu feinem Garn und Stoff verarbeitet. Seinen Namen erhielt das Bleicheareal, da in der Nähe des Fabrikstandortes Baumwolltücher an der Sonne gebleicht wurden. Viele Jahre florierte das Geschäft, bis die Nachfrage nach Schweizer Garn mit den immer billiger werdenden Importpreisen kontinuierlich sank und die Unternehmung im Jahr 1988 den Betrieb schliesslich einstellte.
Zur Hochblüte der Textilindustrie im Zürcher Oberland war die Weberei Otto & Joh. Honegger AG in Wald die grösste Weberei der Schweiz. An über tausend Webstühlen wurde in Wald tonnenweise Baumwolle zu feinem Garn und Stoff verarbeitet. Seinen Namen erhielt das Bleicheareal, da in der Nähe des Fabrikstandortes Baumwolltücher an der Sonne gebleicht wurden. Viele Jahre florierte das Geschäft, bis die Nachfrage nach Schweizer Garn mit den immer billiger werdenden Importpreisen kontinuierlich sank und die Unternehmung im Jahr 1988 den Betrieb schliesslich einstellte.
Schon seit vielen Jahren werden auf dem Bleicheareal von Wald im Zürcher Oberland keine Stoffe mehr hergestellt – leer stehen die alten Produktionsstätten aber nicht. Andreas Honegger, der Sohn des letzten Fabrikherrn, hat den alten Hallen der einstigen Textilhochburg neues Leben eingehaucht.
Andreas Honegger auf dem Bleicheareal: «Ich bin stolz auf mein Projekt.»
Die Luft riecht nach Baumwolle und Maschinenöl. Laut klappernd schiessen die Fadenspulen hin und her. Wenn man einer der Maschinen zu nah kommt, kann es schnell gefährlich werden. «Im Websaal waren wir Kinder nicht gern gesehen», erinnert sich Andreas Honegger. Heute ist der 65-Jährige der Geschäftsleiter der Otto & Joh. Honegger AG und das laute Rattern aus den Spinn- und Websälen im Herzen der Gemeinde Wald ist seit vielen Jahren verstummt.
Trotzdem erinnert noch vieles an die Blütezeit der Textilhochburg. Auch wenn kein Rauch mehr aus dem hohen Kamin der Weberei aufsteigt, stehen fast alle alten Fabrikgebäude im einstigen «Manchester der Schweiz» noch so wie vor 50 Jahren. Verlassene Industriebrachen sind keine in Sicht, denn aus dem ehemaligen Fabrikareal ist dank Honegger ein sorgfältig restauriertes Ensemble geworden.
Fabrikherr in vierter Generation
Die Geschichte des Bleicheareals ist bis heute untrennbar mit dem Geschlecht der Honeggers verbunden. Im Jahr 1853 baute Honeggers Urgrossvater Johannes zusammen mit seinem Bruder oberhalb von Wald eine Weberei, die jedoch wenige Jahre später abbrannte. Nach dem Brand trennten sich die Wege der Brüder. Johannes baute die zerstörte Fabrik wieder auf und errichtete 1873 eine weitere Weberei im Zentrum Walds, welche lange Zeit die grösste Weberei der Schweiz war. Damit war der Grundstein für das Firmenimperium der Honeggers gelegt.
«Wir hatten eine eigene Maurerei, eigene Maler, Elektriker, Mechaniker und so weiter», erklärt Honegger. Zwischen den einzelnen Betrieben seien die Waren jeweils mit Pferdewagen hin- und hertransportiert worden. Die Spezialität der Otto & Joh. Honegger AG sei der Musselin-Stoff gewesen. «Das Komplizierte daran war, dass man die Baumwolle zu extrem feinen Fäden spinnen musste.»
Ende der Blütezeit
Viele Jahre lief das Geschäft. Als Sohn des Fabrikherrn seien die Arbeiter dem heutigen Geschäftsführer immer mit viel Respekt begegnet: «Obwohl ich noch ein Kind war, wurde ich stets mit ‹junger Herr› angesprochen», erinnert er sich. Seine Zeit habe er damals am liebsten in der Weberei verbracht. «Es faszinierte mich, wie die riesigen Baumwollballen zur Spinnerei gebracht, aufgerissen und verarbeitet wurden und daraus schlussendlich ein dünnes Garn entstand.»
Gewerberäume, Hotel, Beiz, Fitness und Bad: Das Bleicheareal ist eine urbane Insel mitten in Wald geworden.
Gut aufbewahrt: In den verschiedenen Betrieben der Bleiche können Besuchende die Utensilien betrachten, die man früher zum Spinnen und Weben verwendet hat.
In den 1960er-Jahren begann es sich langsam abzuzeichnen, dass es für den Standort Schweiz mit der einsetzenden Globalisierung schwieriger für die Textilproduktion werden würde. Im Jahr 1988 entschied sich Honeggers Vater Otto schliesslich dazu, die Textilproduktion einzustellen. Rund 280 Arbeitende verloren ihre Stelle.
Vom Fabrikareal bis zur urbanen Insel
Das Ende der Textilproduktion war aber nicht das Ende des Familienunternehmens. Während viele andere Textilbetriebe aus jener Zeit längst Konkurs gegangen sind, ist die Otto & Joh. Honegger AG heute noch erfolgreich. «Darauf, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitragen konnte, bin ich sehr stolz», sagt Honegger.
Nach Ende des Produktionsbetriebs stellte sich die Familie die Frage, was mit dem Bleicheareal geschehen sollte. Zu dieser Zeit war Honegger in der Filmbranche tätig und lebte in Berlin. Auf Wunsch seines Vaters und aufgrund seiner «Erbpflicht» als Sohn des Fabrikherrn entschied sich Honegger dazu, das Projekt der Umnutzung anzugehen und entwickelte ein Konzept. «Mangels Alternativen stimmte der Rest der Familie zu», erzählt der Geschäftsmann mit einem Lachen.
«Learning by Doing»
Honegger, der bis dahin keinerlei Ausbildung in der Branche hatte, kam zurück nach Wald und legte los, «Learning by Doing» sozusagen. Als neuer Delegierter des Verwaltungsrats «oder wie man heute auf Amerikanisch sagt – CEO» fing er beim Restaurant «Bleichi-Beiz» an. Nach und nach wurden immer weitere Bereiche des Areals umgestaltet.
Honegger wohnt mit seiner Familie oberhalb des Bleiche-Areals in der alten Fabrikantenvilla. Von seinem Anwesen hat er sein Herzensprojekt bestens im Blick.
Denkmalschutz über die Jahre
Als Honegger der Gemeinde Mitte 1995 seine Pläne für die Umnutzung des Areals präsentierte, gingen die Verhandlungen los. Viele der Umbauten, die heute problemlos zugelassen würden, hätten damals noch für hitzige Diskussionen mit den Denkmalpflegern gesorgt, sobald etwas nicht «genau den Vorgaben in ihrem Büchlein» entsprach.
Heute sei Denkmalschutz aber nicht mehr so streng, was viele Umbauten auf dem Gelände überhaupt ermöglichte. Auf dem gesamten Areal sei aber kaum etwas abgebrochen worden. Stattdessen habe man die alten Gebäude so umgebaut und restauriert, dass sie ihren industriellen Charme nicht verlieren und die Geschichte der Bleiche weitererzählen, sagt Honegger. «Wir sind gewissermassen unsere eigenen Denkmalpfleger.»
Das neue Bleicheareal
Heute findet man auf dem Bleicheareal Wohnungen, Ateliers, Gewerberäume, ein Fitness-Center, ein Wellness-Center, ein Restaurant und ein Hotel. «Keines der Gebäude auf dem Areal steht leer», betont Honegger. Sein Lieblingsplatz sei die Piazza, welche alle Teile des Areals verbindet. «Ich sehe von meinem Büro direkt auf sie – sie ist das lebendige Zentrum der Bleiche geworden.» Weiter meint er mit einem Schmunzeln: «Natürlich bin ich auch gerne an der Bar.»
Einige Arbeiten stehen noch an, danach ist das Umnutzungsprojekt abgeschlossen. Die kommenden Generationen können das Ganze dann nur noch verwalten und benutzen. Egal ob sie wellnessen, trainieren oder essen gehen: Für Honegger ist es wichtig, dass das Bleicheareal weiterhin im Familienbesitz bleibt.
Wie diese Wand aus einem der Websäle im heutigen Hotel lassen sich überall Relikte entdecken, die an die Blütezeit der Textilfabrik erinnern.
Andreas Honegger nahe der Spinnerei: «Wer will, kann sich hier einen Schrebergarten zur Wohnung dazu mieten.»
Sharon Ramseier, *1996, studiert Organisationskommunikation an der ZHAW in Winterthur. Ihr Wohnort ist in der Nähe von Solothurn. In ihrer Freizeit besucht sie oft Konzerte im Attisholz-Areal. In den Fabrikhallen auf dem Areal wurde während 130 Jahren Cellulose produziert. Es zählt daher zu den Industriekulturgütern der Region.
Raphael Meier, *1997, studiert Journalismus an der ZHAW in Winterthur. Wohnhaft in einem kleinen Dorf im Zürcher Oberland, kennt er das Bleicheareal in Wald bereits seit seiner Kindheit und hat die «Bleichi-Beiz» und das Bad schon einige Male besucht. Der hohe Kamin des alten Fabrikgeländes am Bachtel faszinierte ihn schon als kleiner Junge.
Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Andreas Honegger auf dem Bleicheareal: «Ich bin stolz auf mein Projekt.»
Die Luft riecht nach Baumwolle und Maschinenöl. Laut klappernd schiessen die Fadenspulen hin und her. Wenn man einer der Maschinen zu nah kommt, kann es schnell gefährlich werden. «Im Websaal waren wir Kinder nicht gern gesehen», erinnert sich Andreas Honegger. Heute ist der 65-Jährige der Geschäftsleiter der Otto & Joh. Honegger AG und das laute Rattern aus den Spinn- und Websälen im Herzen der Gemeinde Wald ist seit vielen Jahren verstummt.
Trotzdem erinnert noch vieles an die Blütezeit der Textilhochburg. Auch wenn kein Rauch mehr aus dem hohen Kamin der Weberei aufsteigt, stehen fast alle alten Fabrikgebäude im einstigen «Manchester der Schweiz» noch so wie vor 50 Jahren. Verlassene Industriebrachen sind keine in Sicht, denn aus dem ehemaligen Fabrikareal ist dank Honegger ein sorgfältig restauriertes Ensemble geworden.
Fabrikherr in vierter Generation
Die Geschichte des Bleicheareals ist bis heute untrennbar mit dem Geschlecht der Honeggers verbunden. Im Jahr 1853 baute Honeggers Urgrossvater Johannes zusammen mit seinem Bruder oberhalb von Wald eine Weberei, die jedoch wenige Jahre später abbrannte. Nach dem Brand trennten sich die Wege der Brüder. Johannes baute die zerstörte Fabrik wieder auf und errichtete 1873 eine weitere Weberei im Zentrum Walds, welche lange Zeit die grösste Weberei der Schweiz war. Damit war der Grundstein für das Firmenimperium der Honeggers gelegt.
«Obwohl ich noch ein Kind war, wurde ich stets mit ‹junger Herr› angesprochen.»
«Wir hatten eine eigene Maurerei, eigene Maler, Elektriker, Mechaniker und so weiter», erklärt Honegger. Zwischen den einzelnen Betrieben seien die Waren jeweils mit Pferdewagen hin- und hertransportiert worden. Die Spezialität der Otto & Joh. Honegger AG sei der Musselin-Stoff gewesen. «Das Komplizierte daran war, dass man die Baumwolle zu extrem feinen Fäden spinnen musste.»
Ende der Blütezeit
Viele Jahre lief das Geschäft. Als Sohn des Fabrikherrn seien die Arbeiter dem heutigen Geschäftsführer immer mit viel Respekt begegnet: «Obwohl ich noch ein Kind war, wurde ich stets mit ‹junger Herr› angesprochen», erinnert er sich. Seine Zeit habe er damals am liebsten in der Weberei verbracht. «Es faszinierte mich, wie die riesigen Baumwollballen zur Spinnerei gebracht, aufgerissen und verarbeitet wurden und daraus schlussendlich ein dünnes Garn entstand.»
Gewerberäume, Hotel, Beiz, Fitness und Bad: Das Bleicheareal ist eine urbane Insel mitten in Wald geworden.
Gut aufbewahrt: In den verschiedenen Betrieben der Bleiche können Besuchende die Utensilien betrachten, die man früher zum Spinnen und Weben verwendet hat.
In den 1960er-Jahren begann es sich langsam abzuzeichnen, dass es für den Standort Schweiz mit der einsetzenden Globalisierung schwieriger für die Textilproduktion werden würde. Im Jahr 1988 entschied sich Honeggers Vater Otto schliesslich dazu, die Textilproduktion einzustellen. Rund 280 Arbeitende verloren ihre Stelle.
Vom Fabrikareal bis zur urbanen Insel
Das Ende der Textilproduktion war aber nicht das Ende des Familienunternehmens. Während viele andere Textilbetriebe aus jener Zeit längst Konkurs gegangen sind, ist die Otto & Joh. Honegger AG heute noch erfolgreich. «Darauf, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitragen konnte, bin ich sehr stolz», sagt Honegger.
Nach Ende des Produktionsbetriebs stellte sich die Familie die Frage, was mit dem Bleicheareal geschehen sollte. Zu dieser Zeit war Honegger in der Filmbranche tätig und lebte in Berlin. Auf Wunsch seines Vaters und aufgrund seiner «Erbpflicht» als Sohn des Fabrikherrn entschied sich Honegger dazu, das Projekt der Umnutzung anzugehen und entwickelte ein Konzept. «Mangels Alternativen stimmte der Rest der Familie zu», erzählt der Geschäftsmann mit einem Lachen.
«Learning by Doing»
Honegger, der bis dahin keinerlei Ausbildung in der Branche hatte, kam zurück nach Wald und legte los, «Learning by Doing» sozusagen. Als neuer Delegierter des Verwaltungsrats «oder wie man heute auf Amerikanisch sagt – CEO» fing er beim Restaurant «Bleichi-Beiz» an. Nach und nach wurden immer weitere Bereiche des Areals umgestaltet.
Honegger wohnt mit seiner Familie oberhalb des Bleiche-Areals in der alten Fabrikantenvilla. Von seinem Anwesen hat er sein Herzensprojekt bestens im Blick.
Denkmalschutz über die Jahre
Als Honegger der Gemeinde Mitte 1995 seine Pläne für die Umnutzung des Areals präsentierte, gingen die Verhandlungen los. Viele der Umbauten, die heute problemlos zugelassen würden, hätten damals noch für hitzige Diskussionen mit den Denkmalpflegern gesorgt, sobald etwas nicht «genau den Vorgaben in ihrem Büchlein» entsprach.
Heute sei Denkmalschutz aber nicht mehr so streng, was viele Umbauten auf dem Gelände überhaupt ermöglichte. Auf dem gesamten Areal sei aber kaum etwas abgebrochen worden. Stattdessen habe man die alten Gebäude so umgebaut und restauriert, dass sie ihren industriellen Charme nicht verlieren und die Geschichte der Bleiche weitererzählen, sagt Honegger. «Wir sind gewissermassen unsere eigenen Denkmalpfleger.»
Das neue Bleicheareal
Heute findet man auf dem Bleicheareal Wohnungen, Ateliers, Gewerberäume, ein Fitness-Center, ein Wellness-Center, ein Restaurant und ein Hotel. «Keines der Gebäude auf dem Areal steht leer», betont Honegger. Sein Lieblingsplatz sei die Piazza, welche alle Teile des Areals verbindet. «Ich sehe von meinem Büro direkt auf sie – sie ist das lebendige Zentrum der Bleiche geworden.» Weiter meint er mit einem Schmunzeln: «Natürlich bin ich auch gerne an der Bar.»
Einige Arbeiten stehen noch an, danach ist das Umnutzungsprojekt abgeschlossen. Die kommenden Generationen können das Ganze dann nur noch verwalten und benutzen. Egal ob sie wellnessen, trainieren oder essen gehen: Für Honegger ist es wichtig, dass das Bleicheareal weiterhin im Familienbesitz bleibt.
Wie diese Wand aus einem der Websäle im heutigen Hotel lassen sich überall Relikte entdecken, die an die Blütezeit der Textilfabrik erinnern.
Andreas Honegger nahe der Spinnerei: «Wer will, kann sich hier einen Schrebergarten zur Wohnung dazu mieten.»
Sharon Ramseier, *1996, studiert Organisationskommunikation an der ZHAW in Winterthur. Ihr Wohnort ist in der Nähe von Solothurn. In ihrer Freizeit besucht sie oft Konzerte im Attisholz-Areal. In den Fabrikhallen auf dem Areal wurde während 130 Jahren Cellulose produziert. Es zählt daher zu den Industriekulturgütern der Region.
Raphael Meier, *1997, studiert Journalismus an der ZHAW in Winterthur. Wohnhaft in einem kleinen Dorf im Zürcher Oberland, kennt er das Bleicheareal in Wald bereits seit seiner Kindheit und hat die «Bleichi-Beiz» und das Bad schon einige Male besucht. Der hohe Kamin des alten Fabrikgeländes am Bachtel faszinierte ihn schon als kleiner Junge.
Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.