Andreas Jäger  – «Der Greuterhof erzählt eine verrückte Geschichte»



Text & Bilder von Noemi Bachofner und Linda Carstensen    



Die leuchtend roten Stoffe in den Räumen des Greuterhofs sind Erinnerungen an die Rotfärberei, die Bernhard Greuter vor über hundert Jahren in Islikon betrieben hat. Die Rotfärbung hat ihren Ursprung in Indien, wo der Färberkrapp wächst. Die getrockneten und gemahlenen Wurzeln der Pflanze verleihen Stoffen ihre rote Farbe. Im 17. Jahrhundert kamen solche Stoffe in Europa in Mode und Unternehmer versuchten die aufwändige Technik nachzuahmen, so auch Greuter. Seine Färberei und Druckerei florierte ein Jahrhundert lang und umfasste damals halb Islikon.

Andreas Jäger hat die gesamte Entwicklung des Greuterhofs mitverfolgt – mit allen Höhen und Tiefen. Trotz Rückschlägen brannte der 65-Jährige stets für die ehemalige Rotfärberei. Seit Jahrzehnten kämpft er für deren Erhalt – und damit für ein Stück Industriegeschichte.



Andreas Jäger, Präsident der Stiftung Greuterhof, hat über Jahrzehnte dafür gekämpft, dass das Gebäude der ehemaligen Rotfärberei bewahrt wird. Foto: Noemi Bachofner und Linda Carstensen

Der Boden des Seminarraums ist mit einem aufwendig gemusterten Parkettboden belegt, die Decke besteht aus tiefhängenden, hölzernen Balken und an den Wänden zeigen schwarz-weisse Fotos, wie der Greuterhof früher aussah. Vom Fenster aus blickt man in den Innenhof, von welchem ein Wegweiser die Besuchenden zu den verschiedenen Bereichen des imposanten Geländes führt. Es umfasst ein Restaurant, ein Geviert und ein Hotel mit 38 Zimmern und mehreren Seminarräumen.

Andreas Jäger, der Präsident der Stiftung Greuterhof, geht zielstrebig durch die verschiedenen Räumlichkeiten und grüsst eine Rezeptionistin da, die Barista dort, den Gärtner ein paar Schritte weiter. Dabei erzählt er munter drauflos – von der Restaurierung der Gebäude, den Mitarbeitenden und der Geschichte des Greuterhofs im kleinen, sympathischen Islikon TG. Jägers Jackett, die Bluejeans und die weissen Sneakers passen zu der Mischung aus Alt und Modern, welche die Gebäude ausstrahlen.



In den Seminarräumen des Hofes trifft Historisches auf Modernes – so erinnern Wasserräder auch heute noch an den industriellen Betrieb. Foto: Noemi Bachofner und Linda Carstensen



Seit dem Konkurs hatte der ehemalige Industriebetrieb verschiedene Besitzer, doch niemand hat die Gebäude saniert. Foto: Noemi Bachofner und Linda Carstensen

Andreas Jäger kennt den Hof, der seinen Namen dem Stofffärber und -drucker Bernhard Greuter zu verdanken hat, bereits seit Jahrzehnten. Die Arbeit als Berater bei der Thurgauer Bank hat den 65-Jährigen zur ehemaligen Färberei geführt. «Mein Job war, zu schauen, dass der Greuterhof über die Runden kam», sagt Jäger. Als sein Vorgänger, Hans Jossi, diesen 1979 kaufte, stand er nämlich kurz vor dem Konkurs. Nach der Liquidation der Färberei wechselten die Besitzer mehrmals. Zuletzt hatten Migranten in den Räumlichkeiten gewohnt und diese herunterkommen lassen. Die Gemeindebehörde von Islikon bezeichnete den Hof gar als «Schandfleck», den es «zu tilgen» gelte. Doch dann kam Jossi.

Hans Jossi baut den Greuterhof wieder auf

Der Isliker Unternehmer wollte den Greuterhof unbedingt ersteigern – trotz schlechtem Zustand. In den darauffolgenden Jahren steckte er viel Geld und Herzblut in den Hof, renovierte die Gebäude und gründete im Jahr 1981 eine Stiftung, um junge Menschen auszubilden. Dank seinem riesigen Netzwerk in den Kantonen Zürich und Thurgau hatte er rasch motivierte Menschen um sich gesammelt. Und auch er selbst war so enthusiastisch, dass er zahlreiche Bauarbeiter und Schreiner überzeugen konnte, für ihn zu arbeiten. «Ihr müsst mir jetzt helfen», soll Jossi zu allen gesagt haben, die ihm über den Weg gelaufen sind.

Jäger beschreibt Jossi als einen «innovativen» Typ. An der Art, wie der Stiftungspräsident über den ehemaligen Besitzer redet, merkt man, dass er viel von ihm hält. Jedoch seien sie selten gleicher Meinung gewesen, wie Jäger feststellt. «Aber wir mochten uns. Streit hatten wir nie.»

Bedauerlicherweise verunglückte Jossi 2004 im Greuterhof selbst – bei Renovationsarbeiten fiel er von einer Leiter. Nach dem Tod Jossis rutschte Jäger tiefer in das Projekt zur Erhaltung des historischen Gebäudes hinein. Er gab seine Beratertätigkeit für den Hof auf und engagierte sich in der Stiftung. Eine Herkulesaufgabe, hatten die Verantwortlichen nach Jossis Tod doch 1,8 Millionen Franken Schulden. Ideen kamen von allen Seiten – was fehlte, war das Geld. 2004 bis 2010 war laut Jäger eine «ganz schwierige Zeit». Aufgrund der finanziellen Situation wurde Jäger belächelt – sein Projekt würde nie funktionieren, hiess es von allen Seiten.

Islikons Bevölkerung rettet die ehemalige Rotfärberei

Eine Lösung musste her: das Projekt Freundeskreis Greuterhof. Innert zwei Wochen rief Jäger 40 Personen an und bat diese um Geld. Er musste ihnen genau erklären, wo das Geld investiert werde und wie nachhaltig ihre Investition sei. Denn die Schulden des Greuterhofs waren in der kleinen Thurgauer Gemeinde Islikon kein Geheimnis. Mit dem Versprechen, ihr Geld werde für die Zukunft der bedeutenden Institution eingesetzt, überzeugte er einzelne Personen, Ehepaare und sogar Gewerbebetriebe.

Dank des Goodwills der Bevölkerung konnte der Greuterhof weiter bestehen – und auch dank ihres Vertrauens in die Stiftung und deren Präsidenten. «Die Gemeinde ist sehr stolz auf den Greuterhof», bekräftigt Jäger. Er ist das Kulturobjekt in Islikon. Darin sei die Dorfbevölkerung immer stark miteinbezogen worden – im Restaurant Schmitte sitzen jeden Abend Einheimische.



In einer langjährigen Sanierung hat die Stiftung Greuterhof aus einer Bruchbude einen modernen Hotel- und Gastronomiebetrieb geschaffen und dabei alte Besonderheiten wie das Geviert erhalten. In den Themenzimmern des Hotels Greuterhof sind Zeugen der Vergangenheit zu finden. Die leuchtend roten und bedruckten Stoffe wurden früher in der Rotfärberei hergestellt. Foto: Noemi Bachofner und Linda Carstensen

Zum heutigen Gelände des Greuterhofs gehört nebst dem Restaurant Schmitte auch der Hotelbetrieb. Dank eines zweistelligen Millionenbetrags der Stiftung konnten mehrere Gebäude saniert und zum Hotelbetrieb umgebaut werden. Dieser Betrieb fungiert heute unabhängig von der Stiftung und bildet junge Lernende in der Gastronomie und Hotellerie aus. Hans Jossis Wunsch, den Greuterhof in einen Ausbildungsbetrieb zu verwandeln, hat sich also erfüllt.

Aufhören ist für Andreas Jäger keine Option

Während der langjährigen Sanierung ist die faszinierende Geschichte der ehemaligen Rotfärberei fast ein wenig untergegangen. Zumindest für jene, deren Herz etwas weniger stark für den Hof schlägt als das von Jäger. Und für jene, die keine Führung auf dem Gelände gebucht haben.

«Der Greuterhof erzählt eine verrückte Geschichte – die darf nicht verloren gehen.»


Deshalb möchte Jäger die Geschichte in Zukunft erlebbarer machen. Gäste sollen durch die Räume gehen und verstehen, was mit und im Greuterhof alles passiert ist. Jäger stellt sich Audio-Stationen an verschiedenen Orten auf dem Gelände vor, an denen die Gäste in die Geschichte des Greuterhofs eintauchen können. Jägers Augen funkeln, während er erzählt. Aufhören? Für ihn keine Option. Er wird zwar im Juli pensioniert, doch sein Feuer für den Greuterhof ist noch lange nicht erloschen. «Ich stecke voller Tatendrang.»


Noemi Bachofner, *1999, studiert Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Daneben ist sie bei Radio Basilisk zu hören. Kontraste faszinieren Noemi seit jeher – besonders wenn Industrie auf Kultur trifft. Kein Wunder also, verbringt sie ihren Feierabend am liebsten im Werk 8 – früher Maschinenhalle, heute trendige Bar. 

Linda Carstensen, *1999, studiert Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Daneben schreibt sie für das Schweizer Online-Medium Nau.ch in der Hauptstadt Bern. Menschen, die ihr deren Geschichten erzählen und einen Teil von sich preisgeben, begeistern Linda. Dass sie sich mit ihnen auseinandersetzen und darüber schreiben darf, sieht sie als ihre Lebensaufgabe.

Das Portrait entstand 2023 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.