Britta Graf – «Das Papier in der Papiermühle lebt»
Text & Bilder von Mira Wecker und Selina Widmer
Seit ihrer Gründung im Jahr 1453 ist die Papiermühle Basel eine bedeutende Institution für die Papierherstellung und ein wichtiger Teil der Basler Geschichte. Am Ufer des Rheins gelegen, beherbergt sie heute ein interaktives Museum und diverse Produktionswerkstätten. Im Laufe der Jahrhunderte hat die Mühle zahlreiche Veränderungen und Modernisierungen durchlau-fen. Sie ist ein lebendiges Zeugnis für die Entwicklung und Innovation der Papierherstellung und erzählt eine Geschichte, die untrennbar mit der Region verbunden ist.
︎︎︎ Videobeitrag
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Von den neonbeleuchteten Strassen des New York der 1990er-Jahre bis zu den historischen Mauern der Papiermühle Basel – Britta Graf reist bei ihrer Arbeit durch die Welt der Erinnerungen. Deren Träger können Mensch und Papier sein, denn beide erzählen Geschichten.
Britta Graf arbeitet seit 2016 an ihrem Traumarbeitsort – der Papiermühle Basel.
Papier ist nicht tot, wie man denken könnte: Papier lebt. «Es ist grundlegend für die Weitergabe von Erinnerungen und Geschichten», sagt Britta Graf. Für sie bedeutet Papier Kultur. Ein Archiv an Wissen. «Papier muss erhalten werden, denn es ist wichtig, was auf dem Papier geschrieben steht.» Auf ihrem Papier steht geschrieben: Britta Graf, Museumsleiterin Papiermühle Basel.
«Ich habe meinen Traumarbeitsort gefunden»
Als studierter Historikerin liegt ihr vor allem die Vermittlung von Geschichte am Herzen. «Das Museum lebt», sagt sie stolz. «Das Team ist sehr familiär, alle arbeiten gerne hier und können sich mit dem Ort identifizieren.» Das ist wichtig, denn der Geist der Papiermühle soll bewahrt bleiben. «Die Menschen, die hier arbeiten, haben einen Bezug zum Papier.» Diesen Bezug spürte sie bereits 2005, als sie aus New York in die Schweiz zurückkehrte und sich einzig für die Papiermühle interessierte. Erst 2016 wurde schliesslich die langersehnte «Traumstelle» frei.
Am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn folgte sie einfach ihren Interessen. Während des Studiums engagierte sie sich in der Frauenbewegung und arbeitete bei Gewerkschaften. Durch einen Zeitungsartikel wurde sie 1997 auf das Tenement Museum in New York aufmerksam und meldete sich sofort. Das Tenement Museum widmet sich den Geschichten von Immigrant:innen und ihren Lebensbedingungen. Bei den Führungen durch das Museum sprach sie unter anderem über die New Yorker Textilindustrie. Angesprochen darauf, ob sie dabei auch von Industriekultur gesprochen habe, winkt sie ab. Sie finde den Begriff schwierig zu fassen, weshalb sie ihn nur ungern verwende.
«Die Schweiz ist keine Vorreiterin in der Frauenförderung»
Britta Graf bemerkte während ihres Aufenthalts in New York in den 1990er-Jahren, dass viele Frauen in Führungspositionen tätig waren, was sie aus der Schweiz nicht kannte. Sie führt aus, wer nur über die technische Bedienung von Maschinen spreche, erzähle ausschliesslich Geschichten über Männer. Sobald man jedoch über den Betrieb oder die Organisation eines Hauses spreche, träten die Geschichten der Frauen in den Vordergrund. Frauen brächten einen neuen Blickwinkel in die Museumskultur und schafften so ein Gleichgewicht.
«Tote Maschinen sind uninteressant.»
Vor 20 Jahren wurde die erste Druckerin der Schweiz in der Papiermühle ausgebildet und 2016 trat Britta Graf als erste Museumsleiterin an. Es tut sich also etwas. Aktuell bildet die Papiermühle eine Papiermacherin aus und der Stiftungsrat besteht grösstenteils aus Frauen. Dass sich etwas verändert, merkte Britta Graf erstmals in New York, wo sie sieben Geschäftsmänner aus der Schweiz besuchten. Dies in der Hoffnung, auch in der Schweiz ein Migrationsmuseum zu eröffnen. Als einer der Männer erwähnte, dass er bisher nur mit Frauen über dieses Projekt gesprochen hatte, sagte die damalige Chefin von Britta Graf lächelnd: «Don’t worry, men can do it as well.»
«Nur weil etwas historisch ist, muss man es nicht erhalten»
Es riecht, ist feucht, lärmt: Wenn man die Papiermühle betritt, ist man unmittelbar im Zentrum des Geschehens. Von der Herstellung über die Bearbeitung bis hin zum fertigen Produkt bietet die Papiermühle den Besucher:innen ein interaktives Erlebnis zum Mitmachen. Britta Graf hält nicht viel von einem lediglich «aufbewahrenden Museum»: «Nur weil etwas historisch ist, muss man es nicht erhalten.» Hingegen ist ihr eine zeitgemässe Nutzung wichtig. Deshalb setzt sie auf personale Vermittlung, Partizipation und Inklusion, besonders auch von Menschen mit Behinderungen. Klassische Erklär-Vitrinen sind zwar Teil des Museums, spielen jedoch nur eine kleine Rolle im Gesamterlebnis. Britta Graf bringt ihr Credo auf den Punkt: «Unsere Besucher:innen verstehen durch aktives Nachvollziehen.» Dies trägt Früchte und lockt stets Publikum an.
Das Zahnrad wird über die noch intakte Wassermühle betrieben.
Diese alte Lochstanz-Maschine ist circa 100 Jahre alt.
«Das Museum soll auch für die junge Generation spannend und attraktiv sein»
Während man im Museum Schulklassen, Familien und Reisegruppen antrifft, fehlt der Museumsleiterin eine strategische Zielgruppe: die Digital Natives. «Das Museum soll auch für die junge Generation spannend und attraktiv sein», benennt Britta Graf ein weiteres Anliegen. Hierfür könnte man den maschinellen Aspekt ausser Acht lassen und den Fokus auf die Menschen hinter der Maschine setzen. «Tote Maschinen sind uninteressant», meint Britta Graf. Spannender findet sie die Frage, was passiert ist, wenn sich eine neue Maschine etabliert hatte, und wie dies das Alltagsleben der Menschen beeinflusste. Sie schlägt die Brücke zur aktuellen Debatte über die künstliche Intelligenz, die sie ebenfalls als «neue Technologie, die alles verändert», beschreibt. Der Kontrast, den Papier zu dieser Digitalität bildet, scheint interessant. «Von diesem Kontrast könnte die Papiermühle durchaus profitieren. Deswegen planen wir derzeit eine Dauerausstellung für die Digital Natives.» Zwar ist das Smartphone ein neuer Erinnerungsträger, doch betont sie, dass die Geschichte des Papiers zeitlos ist und in der Papiermühle erzählt und erlebt werden kann.
Mira Wecker, *1998, studiert Journalismus und Organisationskommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und absolvierte vorher die Fachmatu-rität in Muttenz. Die Papiermühle besuchte sie schon als Kind und erinnert sich gut an den Duft des feuchten Papiers und das Knirschen der Maschinen. Die haptische Wahrnehmung beim Do-it-yourself schätzt sie sehr.
Selina Widmer, *2000, studiert Journalismus und Organisationskommunikation an der Zür-cher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Nach ihrer Ausbildung zur Kauf-frau arbeitete sie neben dem Studium als Barista, stets den Menschenkontakt suchend. Wie zentral in der Papiermühle die Menschen als Pendant zum Papier wirken, fasziniert die Stu-dentin.
Das Portrait entstand 2023 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Britta Graf arbeitet seit 2016 an ihrem Traumarbeitsort – der Papiermühle Basel.
Papier ist nicht tot, wie man denken könnte: Papier lebt. «Es ist grundlegend für die Weitergabe von Erinnerungen und Geschichten», sagt Britta Graf. Für sie bedeutet Papier Kultur. Ein Archiv an Wissen. «Papier muss erhalten werden, denn es ist wichtig, was auf dem Papier geschrieben steht.» Auf ihrem Papier steht geschrieben: Britta Graf, Museumsleiterin Papiermühle Basel.
«Ich habe meinen Traumarbeitsort gefunden»
Als studierter Historikerin liegt ihr vor allem die Vermittlung von Geschichte am Herzen. «Das Museum lebt», sagt sie stolz. «Das Team ist sehr familiär, alle arbeiten gerne hier und können sich mit dem Ort identifizieren.» Das ist wichtig, denn der Geist der Papiermühle soll bewahrt bleiben. «Die Menschen, die hier arbeiten, haben einen Bezug zum Papier.» Diesen Bezug spürte sie bereits 2005, als sie aus New York in die Schweiz zurückkehrte und sich einzig für die Papiermühle interessierte. Erst 2016 wurde schliesslich die langersehnte «Traumstelle» frei.
Am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn folgte sie einfach ihren Interessen. Während des Studiums engagierte sie sich in der Frauenbewegung und arbeitete bei Gewerkschaften. Durch einen Zeitungsartikel wurde sie 1997 auf das Tenement Museum in New York aufmerksam und meldete sich sofort. Das Tenement Museum widmet sich den Geschichten von Immigrant:innen und ihren Lebensbedingungen. Bei den Führungen durch das Museum sprach sie unter anderem über die New Yorker Textilindustrie. Angesprochen darauf, ob sie dabei auch von Industriekultur gesprochen habe, winkt sie ab. Sie finde den Begriff schwierig zu fassen, weshalb sie ihn nur ungern verwende.
«Die Schweiz ist keine Vorreiterin in der Frauenförderung»
Britta Graf bemerkte während ihres Aufenthalts in New York in den 1990er-Jahren, dass viele Frauen in Führungspositionen tätig waren, was sie aus der Schweiz nicht kannte. Sie führt aus, wer nur über die technische Bedienung von Maschinen spreche, erzähle ausschliesslich Geschichten über Männer. Sobald man jedoch über den Betrieb oder die Organisation eines Hauses spreche, träten die Geschichten der Frauen in den Vordergrund. Frauen brächten einen neuen Blickwinkel in die Museumskultur und schafften so ein Gleichgewicht.
«Tote Maschinen sind uninteressant.»
Vor 20 Jahren wurde die erste Druckerin der Schweiz in der Papiermühle ausgebildet und 2016 trat Britta Graf als erste Museumsleiterin an. Es tut sich also etwas. Aktuell bildet die Papiermühle eine Papiermacherin aus und der Stiftungsrat besteht grösstenteils aus Frauen. Dass sich etwas verändert, merkte Britta Graf erstmals in New York, wo sie sieben Geschäftsmänner aus der Schweiz besuchten. Dies in der Hoffnung, auch in der Schweiz ein Migrationsmuseum zu eröffnen. Als einer der Männer erwähnte, dass er bisher nur mit Frauen über dieses Projekt gesprochen hatte, sagte die damalige Chefin von Britta Graf lächelnd: «Don’t worry, men can do it as well.»
«Nur weil etwas historisch ist, muss man es nicht erhalten»
Es riecht, ist feucht, lärmt: Wenn man die Papiermühle betritt, ist man unmittelbar im Zentrum des Geschehens. Von der Herstellung über die Bearbeitung bis hin zum fertigen Produkt bietet die Papiermühle den Besucher:innen ein interaktives Erlebnis zum Mitmachen. Britta Graf hält nicht viel von einem lediglich «aufbewahrenden Museum»: «Nur weil etwas historisch ist, muss man es nicht erhalten.» Hingegen ist ihr eine zeitgemässe Nutzung wichtig. Deshalb setzt sie auf personale Vermittlung, Partizipation und Inklusion, besonders auch von Menschen mit Behinderungen. Klassische Erklär-Vitrinen sind zwar Teil des Museums, spielen jedoch nur eine kleine Rolle im Gesamterlebnis. Britta Graf bringt ihr Credo auf den Punkt: «Unsere Besucher:innen verstehen durch aktives Nachvollziehen.» Dies trägt Früchte und lockt stets Publikum an.
Das Zahnrad wird über die noch intakte Wassermühle betrieben.
Diese alte Lochstanz-Maschine ist circa 100 Jahre alt.
«Das Museum soll auch für die junge Generation spannend und attraktiv sein»
Während man im Museum Schulklassen, Familien und Reisegruppen antrifft, fehlt der Museumsleiterin eine strategische Zielgruppe: die Digital Natives. «Das Museum soll auch für die junge Generation spannend und attraktiv sein», benennt Britta Graf ein weiteres Anliegen. Hierfür könnte man den maschinellen Aspekt ausser Acht lassen und den Fokus auf die Menschen hinter der Maschine setzen. «Tote Maschinen sind uninteressant», meint Britta Graf. Spannender findet sie die Frage, was passiert ist, wenn sich eine neue Maschine etabliert hatte, und wie dies das Alltagsleben der Menschen beeinflusste. Sie schlägt die Brücke zur aktuellen Debatte über die künstliche Intelligenz, die sie ebenfalls als «neue Technologie, die alles verändert», beschreibt. Der Kontrast, den Papier zu dieser Digitalität bildet, scheint interessant. «Von diesem Kontrast könnte die Papiermühle durchaus profitieren. Deswegen planen wir derzeit eine Dauerausstellung für die Digital Natives.» Zwar ist das Smartphone ein neuer Erinnerungsträger, doch betont sie, dass die Geschichte des Papiers zeitlos ist und in der Papiermühle erzählt und erlebt werden kann.
Mira Wecker, *1998, studiert Journalismus und Organisationskommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und absolvierte vorher die Fachmatu-rität in Muttenz. Die Papiermühle besuchte sie schon als Kind und erinnert sich gut an den Duft des feuchten Papiers und das Knirschen der Maschinen. Die haptische Wahrnehmung beim Do-it-yourself schätzt sie sehr.
Selina Widmer, *2000, studiert Journalismus und Organisationskommunikation an der Zür-cher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Nach ihrer Ausbildung zur Kauf-frau arbeitete sie neben dem Studium als Barista, stets den Menschenkontakt suchend. Wie zentral in der Papiermühle die Menschen als Pendant zum Papier wirken, fasziniert die Stu-dentin.
Das Portrait entstand 2023 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.