Heinz Rothmund – «Das Wesentliche leisteten die Arbeitenden, nicht die Maschinen»



Text & Bilder: Joëlle Ehrle und Daniela Steiner

Heinz Rothmund begann 1965 seine Lehre als Papiermacher in der Papierfabrik Laager in Bischofszell und arbeitete dort bis 1972 an der PM1. Heute gibt er als Mitglied des Vereins «Industriekultur Bischofszell-Hauptwil» sein Wissen an Führungen weiter.
Der Verein wurde 2000 gegründet und bemüht sich um die Erhaltung und fachmännische Pflege der PM1 als einmaliges Zeugnis der industriellen Vergangenheit Bischofszells und der Papierproduktion in der Schweiz. Die Mitglieder des Vereins kümmern sich unentgeltlich und mit viel Engagement um die 1991 eingestellte Papiermaschine.

Heinz Rothmund arbeitete sein ganzes Leben lang mit Papier. Eine spezielle Verbindung hat er zur Papiermaschine PM1 in Bischofszell, an der er seine Lehre absolviert hat. Heute, über 50 Jahre später, erzählt er dort an Führungen von seinen Erfahrungen als Papiermacher.



«Die PM1 lief gut, Reparaturen waren selten nötig», sagt Rothmund, der seit der Pension von seinen Erfahrungen erzählt.

Wenn Heinz Rothmund spricht, hallt es in der grossen Maschinenhalle. Der gebürtige Bischofszeller ist hier in seinem Element. Seit über 14 Jahren macht er Führungen rund um die 223 Tonnen schwere und 37 Meter lange Papiermaschine 1, genannt PM1, die mitten in der Halle steht. Der Schaubetrieb ist Teil des «Industrielehrpfades Hauptwil-Bischofszell». Dessen Route führt an industriekulturellen Gebäuden vorbei und zeigt, wie vor über 100 Jahren gearbeitet wurde. Meist sind es grössere Gruppen oder Schulklassen, die der PM1 einen Besuch abstatten. «Wenn sie hier ankommen, sind viele aber so erschöpft, dass sie mir kaum mehr Fragen stellen», sagt Rothmund mit tiefer Stimme und Thurgauer Dialekt.


Einer der Ersten mit Diplom

Dass er jedoch alle Fragen beantworten könnte, ist offensichtlich. Der 72-Jährige weiss alles über die PM1. Als gelernter Papiermacher hat er einst selbst an ihr gearbeitet – als Gehilfe, Springer und Maschinenführer. 1965 begann Rothmund seine dreijährige Ausbildung als Papiermacher an der PM1. Diese damals neu anerkannte Berufslehre schloss er als einer der Ersten mit einem Fähigkeitszeugnis ab.

Dass er diesen Weg einschlagen würde, war für ihn als Sohn eines Schriftsetzers nicht immer klar gewesen. Eigentlich wollte er mit Holz arbeiten, Wagner oder Förster werden. Sein Onkel, der ebenfalls Papiermacher war, überzeugte ihn allerdings vom Beruf: «'Wenn du mit Papier arbeitest, hast du auch mit Holz zu tun', sagte er mir». Rothmund, der die Papiermaschine bereits als Sekundarschüler während seiner Ferien putzte, nahm den Rat an. «Ich fand Gefallen daran, eine so grosse Maschine laufen zu lassen.» Den Entscheid habe er nie bereut. Er setzte ausserdem eine Tradition fort. Bereits sein Grossvater hat an der 1928 erbauten PM1 hantiert.



Fotografien zeigen, wie Bier- und Tortenteller aus Pappe getrocknet wurden. «Das war damals überwiegend Frauenarbeit», sagt Rothmund.

Heute erinnern dessen Foto und jene von anderen PM1-Arbeitern an einer Wand der Maschinenhalle an die industriekulturelle Geschichte. Manche der Arbeitenden sitzen, andere stehen oder lachen in die Kamera. Rothmund betrachtet die Relikte einer vergangenen Zeit: «Das Wesentliche leisteten die Arbeitenden – nicht die Maschinen.»


Arbeiten bei Lärm und Hitze

Als Rothmund die Halle noch als Arbeiter betrat, arbeiteten die Leute 46 Stunden pro Woche in drei Schichten. Drei Männer, ein Maschinenführer und zwei Gehilfen, waren pro Schicht der PM1 zugeteilt. Ihm selbst wurde drei Jahre nach Lehrabschluss die Aufgabe des Maschinenführers zugewiesen. «Dafür brauchte man nicht nur ein gutes technisches Verständnis, sondern auch ein Gespür für die Maschine.» So sei es wichtig gewesen, seinen Ohren und Augen zu vertrauen, da es noch keine Blinksignale gab. «Das war noch eine Herausforderung, von Hand die ganze Maschine optimal in Gang zu halten», betont er mit sichtlichem Stolz.

«Der Alltag als Papiermacher war wegen der Schichten sehr streng. Viele von uns hatten Schlafstörungen und Magenprobleme.»


Die Arbeitsbedingungen hätten damals vielen Mitarbeitenden zu schaffen gemacht: Nässe, Temperaturen bis 40 Grad, Durchzug, Lärm. Hinzu kamen die Schichtarbeiten, die zu Schlafstörungen und Magenproblemen führten. Die Arbeit an der Maschine war zudem gefährlich. Von schweren Unfällen blieb Rothmund glücklicherweise verschont, «zu Papierschnitten kam es aber häufiger, wenn die Papierbahn bei laufender Maschine eingefädelt werden musste».

Erlebnisse wie diese sind es, die ihn dazu motiviert haben, heute seine Berufserfahrungen mit Menschen jeder Altersgruppe zu teilen. «Den meisten ist gar nicht bewusst, wie früher Papier hergestellt wurde.» An den Führungen will er sein Publikum über den Wandel in der Papierherstellung aufklären, zum Nachdenken anregen – und vor allem im Gedächtnis bleiben. Das treibt Rothmund an. «Durch die Führungen hoffe ich, dass das Wissen über die Arbeit an der PM1 nie verloren geht.»


«Glücksfall für die Industriekultur»

Trotz eines für damalige Verhältnisse guten Monatslohnes von rund 1'000 Franken und der Gratifikation, die man sich damals beim «Oberst» genannten Herrn Laager während des «Grati-Rituals» abholte, entschied sich Rothmund im Alter von 24 Jahren, die «Papieri» zu verlassen. «In die Modernisierung der PM1 wurde praktisch nicht investiert. Für die Industriekultur ist das heute ein Glücksfall – für mich als Arbeiter damals war es das aber nicht», sagt er. Bei der Druckerei Zollikofer in St. Gallen wurde er schliesslich Drucksachen-Ausrüster.

1991 wurde die PM1 durch die Anschaffung einer neuen Papiermaschine überflüssig, der Betrieb wurde eingestellt. Zwei Jahre später erkannte sie der Kanton Thurgau als industriekulturelles Denkmal an. Rothmund als «Ur-Bischofszeller» war einer der Ersten, die dem Verein «Industriekultur Bischofszell-Hauptwil» beitraten. Ihm war es wichtig, dass die Papierfabrik einerseits als Arbeitsstätte seiner Vorfahren und andererseits als wichtiger Teil der Industriegeschichte der Region erhalten bleibt.

Er nimmt eine grosse Rolle Packpapier in die Hand, das Endprodukt, das die Maschine einst herstellte. Auch Krepppapier, Tortenteller und Bieruntersetzer wurden hier produziert. Heute sind diese Produkte nur noch zu Anschauungszwecken in der Halle ausgestellt, damit die Besuchenden sie betrachten können. Genauso wie die Maschine selbst, die Rothmund als Oldtimer unter den Papiermaschinen bezeichnet. Bei seiner nächsten Führung wird sie wieder zum Leben erwachen und mit ihr die ganze industriekulturelle Geschichte, die sie umgibt.



Wasserzeichen in Thurgauer Form: In der Nass-Partie der Maschine wurden die noch feuchten Papier- und Kartonstücke gekennzeichnet.



Eine Halle, die viele Erinnerungen weckt: Als Gehilfe, Springer und später als Maschinenführer arbeitete Rothmund rund 46 Stunden pro Woche in drei Schichten an der PM1.


Joëlle Ehrle studiert Kommunikation im 6. Semester an der ZHAW. Zuvor absolvierte sie eine kaufmännische Lehre, in deren Rahmen sie in der Hotelbranche arbeitete. Während ihrer Zeit als Rezeptionistin in einem Winterthurer Hotel wurde ihr bewusst, dass die Industriekultur für die Wirtschaft, insbesondere für den Tourismus, eine wesentliche Bedeutung hat.

Daniela Steiner studiert Kommunikation im 6. Semester an der ZHAW mit der Vertiefung Organisationskommunikation. Vor dem Studium hat sie eine Ausbildung zur Köchin absolviert und einige Jahre in der Gastronomie gearbeitet. Ihre Begeisterung für das geschriebene Wort hat sie dann zum Studium in Winterthur geführt, wo sie erstmals bewusst in Berührung mit Industriekultur kam.


Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.