Martin Horath – «Es ist ein kleines Wunder, dass die Lok 7 überlebt hat»
Text & Bilder: Livia Barmettler und Sarina Bopp
Die Lok 7 ist eine Rarität: Sie ist die letzte noch betriebsfähige Zahnraddampflok mit stehendem Kessel. Innerhalb des Kessels befindet sich eine Feuerbüchse, in der das Feuer für den Antrieb entsteht. Diese Feuerbüchse muss zur Kühlung stets von Wasser bedeckt sein. Aufgrund der Steigungsunterschiede bei Berg- und Talfahrt ging dies mit einem liegenden Kessel nur sehr schlecht, weshalb man bei der damaligen Konstruktion der Lok 7 als Lösung den stehenden Kessel gewählt hat. Erst später kam die Idee auf, das Problem mit einer schrägen Feuerbüchse zu lösen.
Die Lok 7 ist eine Rarität: Sie ist die letzte noch betriebsfähige Zahnraddampflok mit stehendem Kessel. Innerhalb des Kessels befindet sich eine Feuerbüchse, in der das Feuer für den Antrieb entsteht. Diese Feuerbüchse muss zur Kühlung stets von Wasser bedeckt sein. Aufgrund der Steigungsunterschiede bei Berg- und Talfahrt ging dies mit einem liegenden Kessel nur sehr schlecht, weshalb man bei der damaligen Konstruktion der Lok 7 als Lösung den stehenden Kessel gewählt hat. Erst später kam die Idee auf, das Problem mit einer schrägen Feuerbüchse zu lösen.
Martin Horath (57) widmet sich mechanischen Maschinen mit grosser Hingabe. So hat der Goldauer nicht nur eine berühmte Lokomotive erneut zum Dampfen gebracht. Er sichert dank seiner Leidenschaft für technische Raritäten auch den Erhalt von Kulturgütern.
In insgesamt vier privaten Hallen lagert, repariert und präsentiert Horath seine Trouvaillen.
Das weiche Morgenlicht fällt auf die polierte hölzerne Oberfläche. Sanft reflektiert eine darauf golden aufgeprägte Sieben die Sonnenstrahlen. In bescheidener Exklusivität steht «s’Sibni» in der Werkstätte der Rigi-Bahnen in Arth-Goldau. Martin Horath, auch bekannt als Goldauer Dampfspezialist, pflegt ein besonderes Verhältnis zu ihr, der Lok 7. Dass sie heute die letzte noch fahrtüchtige Zahnrad-Dampflokomotive mit stehendem Kessel ist, verdanken wir massgeblich dem passionierten Mechaniker und Lokführer.
Vom Museum zurück auf die Königin der Berge
«Das habe ich nie so gesagt – das sind bloss Gerüchte», antwortet der Goldauer mit einem leichten Schmunzeln auf die Frage, weshalb «s’Sibni» denn nun seine Lieblingslok sei. Also nicht die Lieblingslok, aber immerhin «die Bergbahn-Dampflok. Mit ihr hat alles angefangen.» 1873 hat die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur die Lok 7 gebaut.
Beim Reparieren kaputter Raritäten ist Horaths Handwerkskunst gefragt.
Heute dampft diese Lok wieder die Rigi, die Königin der Berge, hoch. Dies wäre ohne die Hunderte von Stunden nicht möglich, die Horath als Werkstattleiter mit seinen Mitarbeitenden in die Wiederbelebung der Maschine investiert hat. Zum Jubiläum «150 Jahre Rigi-Bahnen» hat er 2021 die Lok 7 wieder fahrtüchtig gemacht. Bis dahin stand sie – mit Ausnahme eines anderen Jubiläums – seit 1959 im Verkehrshaus in Luzern. Dorthin soll das Kulturgut voraussichtlich 2023 wieder zurückkehren, weiss Horath: «Natürlich ist eine Maschine dort geschützt – aber eben auch tot.»
In vertrauter Verbundenheit steht Horath auf dem Führerstand der Lok: «Eine Dampflok ist natürlich viel interessanter, wenn sie raucht, wenn sie fährt, wenn sie lebt.» Seine Hand und sein Blick liegen aufmerksam auf der Mechanik. «Es ist ein kleines Wunder, dass die Lok 7 überlebt hat», stellt er fest, «denn die Industriekultur wird noch gar nicht so lange als wertvoll angesehen.»
Wie das Handwerk Mensch und Maschine vereint
«Die Ästhetik, nach welcher die Maschinen früher gebaut wurden, mag vielleicht nicht jene von Schlössern sein», meint Horath bescheiden, «aber sie ist schon sehr nahe an dieser dran.» Seine Bewunderung kommt nicht von ungefähr: Bereits sein Vater war Lokführer und Depotchef bei den Rigi-Bahnen. So kam er schon in jungen Jahren mit Lokomotiven und der Mechanik in Kontakt. Über die Jahre hat er sich ein ganzheitliches Verständnis angeeignet: «Eine Dampflokomotive ist kein Computer, in dem alles versteckt ist. Die Umwandlung von Wärmeenergie in mechanische Energie ist sichtbar.»
Während seiner Mechanikerlehre hat der waschechte Goldauer Horath seine Verbundenheit zu Maschinen weiter verstärkt: «Erst wer die Maschine versteht, erlangt das Wichtigste: die Sicherheit in der Praxis.» Er weiss: «Es reicht kein Hauptschalter, um diese alten Loks in den Stillstand zu bringen. Da steckt weit mehr dahinter.» Eben in der Vermittlung dieses Verständnisses sieht er seine Pflicht: «Wir müssen die Jungen von heute unbedingt beides lehren: das Fahren und das Reparieren.» Nur so können Menschen die essenzielle Beziehung zur Maschine aufbauen.
150 Tonnen pure Leidenschaft
Auch in seiner Freizeit rekonstruiert Horath mit Hingabe Maschinen und Motoren. «Der Moment, wenn ich ein stillgelegtes Werk wieder zum Leben erwecken kann, ist unbeschreiblich», sagt Horath, den besonders auch kaputte Technik anzieht. «Ich habe eine Passion für technische Raritäten und zum Glück auch etwas Platz», so der leidenschaftliche Mechaniker und Sammler. Insgesamt vier Hallen besitzt er in der Umgebung von Goldau. In diesen reihen sich sorgfältig behütet seine Schätze aneinander: Elektromotoren, Maschinen und Lampen. Die Werkzeuge, mit denen er diese repariert, sind selbst industriekulturelles Erbe.
Dass die Lok 7 heute wieder die Rigi hinaufdampft, dazu hat Horath als Werkstattleiter der Rigi-Bahnen einen entscheidenden Beitrag geleistet.
Sein Blick liegt nachdenklich in der Weite des Raumes: «Mein grosser Traum war es immer, einst ein Museum zu führen.» Über zwanzig Jahre habe er die Idee verfolgt. Die Räumlichkeiten dafür habe er leider bis heute nicht erhalten. «Im Rahmen meiner Möglichkeiten beteilige ich mich nun halt anders am Erhalt dieser Kulturgüter.» Total 150 Tonnen «Edelschrott», wie er die Sammlung nennt, besitzt er. Seine Raritäten zeigt er an Ausstellungen weltweit: «An die nächste grosse Ausstellung nehme ich Bertha mit.» Seine Augen funkeln. «Es hat immer geheissen: Die bringst du nicht aus England heraus», erzählt er. Nun steht Bertha hier, inmitten seiner anderen Trouvaillen. Mit einem Tieflader habe er die Strassenlokomotive zu sich geholt. «Sie ist eine absolute Rarität», so Horath. Er braucht es nicht auszusprechen, es wird auch ohne Worte klar: Sie ist sein Lieblingsstück. «Vorgeführt habe ich sie bereits, man sollte sie aber irgendwann noch frisch bemalen.»
Über verborgene Kulturgüter
«Die Welt der Sammler ist besonders», verrät Horath. Er nennt sie einen Markt für sich, einen mit etlichen Widersprüchlichkeiten: Während zum Beispiel die einen ihre Errungenschaften der Öffentlichkeit zugänglich machen wollten, behielten die anderen ihre Sammlerstücke bewusst für sich, weiss Horath. Bedacht blickt er auf Bertha: «Ich staune immer wieder: Wenn du im Besitz von Raritäten bist, spricht sich dies von alleine herum.» Auch über die Community hinaus. Und doch bleibe die Welt der Sammler eine Welt der verborgenen Geheimnisse: «Viele Kulturgüter gingen verloren, viele sind aber auch noch erhalten – und manchmal weiss nur der Besitzer selbst von seinem Glück.»
Sein Lieblingsstück, die Strassenlokomotive «Bertha», hat der Sammler aus England importiert.
Sarina Bopp, *1999, studiert Kommunikation an der ZHAW. Die auf die Rigi hinaufdampfenden Bergbahnen verbindet sie besonders mit Familienausflügen. Die Art und Weise, wie Mechanik funktioniert, begeisterte sie schon in jungen Jahren. Ihr Grossvater war zwar kein Lokführer, aber Uhrenmacher aus Leidenschaft. Die Einzigartigkeit von alten Kulturgütern lässt sie staunen.
Livia Barmettler, *1999, studiert Journalismus an der ZHAW. Geboren im luzernischen Seetal, ist sie mit der Königin der Berge am Horizont aufgewachsen. Auf die Rigi ging es stets zu Fuss, runter mit der ältesten Zahnradbahn Europas. Dass diese dank viel Herzblut und Arbeit seit 1871 funktionstüchtig ist und Industriekultur erlebbar macht, fasziniert Barmettler.
Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
In insgesamt vier privaten Hallen lagert, repariert und präsentiert Horath seine Trouvaillen.
Das weiche Morgenlicht fällt auf die polierte hölzerne Oberfläche. Sanft reflektiert eine darauf golden aufgeprägte Sieben die Sonnenstrahlen. In bescheidener Exklusivität steht «s’Sibni» in der Werkstätte der Rigi-Bahnen in Arth-Goldau. Martin Horath, auch bekannt als Goldauer Dampfspezialist, pflegt ein besonderes Verhältnis zu ihr, der Lok 7. Dass sie heute die letzte noch fahrtüchtige Zahnrad-Dampflokomotive mit stehendem Kessel ist, verdanken wir massgeblich dem passionierten Mechaniker und Lokführer.
Vom Museum zurück auf die Königin der Berge
«Das habe ich nie so gesagt – das sind bloss Gerüchte», antwortet der Goldauer mit einem leichten Schmunzeln auf die Frage, weshalb «s’Sibni» denn nun seine Lieblingslok sei. Also nicht die Lieblingslok, aber immerhin «die Bergbahn-Dampflok. Mit ihr hat alles angefangen.» 1873 hat die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur die Lok 7 gebaut.
Beim Reparieren kaputter Raritäten ist Horaths Handwerkskunst gefragt.
Heute dampft diese Lok wieder die Rigi, die Königin der Berge, hoch. Dies wäre ohne die Hunderte von Stunden nicht möglich, die Horath als Werkstattleiter mit seinen Mitarbeitenden in die Wiederbelebung der Maschine investiert hat. Zum Jubiläum «150 Jahre Rigi-Bahnen» hat er 2021 die Lok 7 wieder fahrtüchtig gemacht. Bis dahin stand sie – mit Ausnahme eines anderen Jubiläums – seit 1959 im Verkehrshaus in Luzern. Dorthin soll das Kulturgut voraussichtlich 2023 wieder zurückkehren, weiss Horath: «Natürlich ist eine Maschine dort geschützt – aber eben auch tot.»
«Eine Dampflok ist natürlich viel interessanter, wenn sie raucht, wenn sie fährt, wenn sie lebt.»
In vertrauter Verbundenheit steht Horath auf dem Führerstand der Lok: «Eine Dampflok ist natürlich viel interessanter, wenn sie raucht, wenn sie fährt, wenn sie lebt.» Seine Hand und sein Blick liegen aufmerksam auf der Mechanik. «Es ist ein kleines Wunder, dass die Lok 7 überlebt hat», stellt er fest, «denn die Industriekultur wird noch gar nicht so lange als wertvoll angesehen.»
Wie das Handwerk Mensch und Maschine vereint
«Die Ästhetik, nach welcher die Maschinen früher gebaut wurden, mag vielleicht nicht jene von Schlössern sein», meint Horath bescheiden, «aber sie ist schon sehr nahe an dieser dran.» Seine Bewunderung kommt nicht von ungefähr: Bereits sein Vater war Lokführer und Depotchef bei den Rigi-Bahnen. So kam er schon in jungen Jahren mit Lokomotiven und der Mechanik in Kontakt. Über die Jahre hat er sich ein ganzheitliches Verständnis angeeignet: «Eine Dampflokomotive ist kein Computer, in dem alles versteckt ist. Die Umwandlung von Wärmeenergie in mechanische Energie ist sichtbar.»
Während seiner Mechanikerlehre hat der waschechte Goldauer Horath seine Verbundenheit zu Maschinen weiter verstärkt: «Erst wer die Maschine versteht, erlangt das Wichtigste: die Sicherheit in der Praxis.» Er weiss: «Es reicht kein Hauptschalter, um diese alten Loks in den Stillstand zu bringen. Da steckt weit mehr dahinter.» Eben in der Vermittlung dieses Verständnisses sieht er seine Pflicht: «Wir müssen die Jungen von heute unbedingt beides lehren: das Fahren und das Reparieren.» Nur so können Menschen die essenzielle Beziehung zur Maschine aufbauen.
150 Tonnen pure Leidenschaft
Auch in seiner Freizeit rekonstruiert Horath mit Hingabe Maschinen und Motoren. «Der Moment, wenn ich ein stillgelegtes Werk wieder zum Leben erwecken kann, ist unbeschreiblich», sagt Horath, den besonders auch kaputte Technik anzieht. «Ich habe eine Passion für technische Raritäten und zum Glück auch etwas Platz», so der leidenschaftliche Mechaniker und Sammler. Insgesamt vier Hallen besitzt er in der Umgebung von Goldau. In diesen reihen sich sorgfältig behütet seine Schätze aneinander: Elektromotoren, Maschinen und Lampen. Die Werkzeuge, mit denen er diese repariert, sind selbst industriekulturelles Erbe.
Dass die Lok 7 heute wieder die Rigi hinaufdampft, dazu hat Horath als Werkstattleiter der Rigi-Bahnen einen entscheidenden Beitrag geleistet.
Sein Blick liegt nachdenklich in der Weite des Raumes: «Mein grosser Traum war es immer, einst ein Museum zu führen.» Über zwanzig Jahre habe er die Idee verfolgt. Die Räumlichkeiten dafür habe er leider bis heute nicht erhalten. «Im Rahmen meiner Möglichkeiten beteilige ich mich nun halt anders am Erhalt dieser Kulturgüter.» Total 150 Tonnen «Edelschrott», wie er die Sammlung nennt, besitzt er. Seine Raritäten zeigt er an Ausstellungen weltweit: «An die nächste grosse Ausstellung nehme ich Bertha mit.» Seine Augen funkeln. «Es hat immer geheissen: Die bringst du nicht aus England heraus», erzählt er. Nun steht Bertha hier, inmitten seiner anderen Trouvaillen. Mit einem Tieflader habe er die Strassenlokomotive zu sich geholt. «Sie ist eine absolute Rarität», so Horath. Er braucht es nicht auszusprechen, es wird auch ohne Worte klar: Sie ist sein Lieblingsstück. «Vorgeführt habe ich sie bereits, man sollte sie aber irgendwann noch frisch bemalen.»
Über verborgene Kulturgüter
«Die Welt der Sammler ist besonders», verrät Horath. Er nennt sie einen Markt für sich, einen mit etlichen Widersprüchlichkeiten: Während zum Beispiel die einen ihre Errungenschaften der Öffentlichkeit zugänglich machen wollten, behielten die anderen ihre Sammlerstücke bewusst für sich, weiss Horath. Bedacht blickt er auf Bertha: «Ich staune immer wieder: Wenn du im Besitz von Raritäten bist, spricht sich dies von alleine herum.» Auch über die Community hinaus. Und doch bleibe die Welt der Sammler eine Welt der verborgenen Geheimnisse: «Viele Kulturgüter gingen verloren, viele sind aber auch noch erhalten – und manchmal weiss nur der Besitzer selbst von seinem Glück.»
«Wir müssen die Jungen von heute unbedingt beides lehren: das Fahren und das Reparieren.»
Sein Lieblingsstück, die Strassenlokomotive «Bertha», hat der Sammler aus England importiert.
Sarina Bopp, *1999, studiert Kommunikation an der ZHAW. Die auf die Rigi hinaufdampfenden Bergbahnen verbindet sie besonders mit Familienausflügen. Die Art und Weise, wie Mechanik funktioniert, begeisterte sie schon in jungen Jahren. Ihr Grossvater war zwar kein Lokführer, aber Uhrenmacher aus Leidenschaft. Die Einzigartigkeit von alten Kulturgütern lässt sie staunen.
Livia Barmettler, *1999, studiert Journalismus an der ZHAW. Geboren im luzernischen Seetal, ist sie mit der Königin der Berge am Horizont aufgewachsen. Auf die Rigi ging es stets zu Fuss, runter mit der ältesten Zahnradbahn Europas. Dass diese dank viel Herzblut und Arbeit seit 1871 funktionstüchtig ist und Industriekultur erlebbar macht, fasziniert Barmettler.
Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.