Peter Roth – «Was man sich selbst beibringt, beherrscht man für den Rest seines Lebens» 



Text & Bilder: Sophie Ambühl und Alina Kilongan

Die Wander AG entwickelt und produziert in Neuenegg bei Bern und exportiert ihre Ware weltweit. Angefangen hat alles mit dem Apotheker Georg Wander, der 1865 auf der Suche nach einem Mittel gegen Mangelernährung war und dieses in der Ovomaltine fand. Für die Herstellung von Ovomaltine braucht es vor allem Malz, etwas Kakao für den Geschmack, Milch und früher auch Eier. Deshalb wechselte die Firma 1927 ihren Standort von Bern nach Neuenegg. Auf dem Land war die Versorgung mit Eiern und Milch kein Problem: Täglich lieferten die Bauern ihre Produkte in die Fabrik.

Peter Roth ist seit seiner Pensionierung immer noch regelmässig auf dem Gelände der Wander AG anzutreffen. Beinahe 50 Jahre geht er in der Ovomaltine-Fabrik bereits ein und aus. Nach vielen verschiedenen Stationen in der Firma ist er nun für das Archiv zuständig.



Peter Roth vor den laufenden Maschinen in der Produktionsabteilung. Hier gelten hohe Sicherheits- und Hygienestandards.

Die Gebäude der Wander AG liegen schön eingebettet im Sensetal westlich von Bern. Kaum aus dem Auto ausgestiegen, werden wir vom Ovomaltine-Geruch eingehüllt. Peter Roth empfängt uns freudig und meint, er nehme diesen Geruch gar nicht mehr wahr. Das überrascht nicht, arbeitet er doch bereits 49 Jahre für die Ovomaltine-Produzentin. Die grosse Erfahrung macht sich auf Schritt und Tritt bemerkbar. Sie äussert sich nicht nur in Peter Roths unglaublichem Fachwissen. Sie ist auch präsent in der Art und Weise, wie er sich auf dem Firmengelände bewegt. Er begrüsst alle Mitarbeitenden, fragt, wie es ihnen geht, und tauscht einige persönliche Worte mit ihnen aus. Peter kennt alle. Alle kennen Peter.

Bei seiner Arbeit in den verschiedenen Bereichen lernte der 74-Jährige das Unternehmen von allen Seiten kennen. Er liess keine Gelegenheit aus, Neues zu lernen. So wechselte er auch von seiner Position als Lehrlingsausbildner in die Produktion, obwohl das Ausbilden eine seiner Lieblingsaufgaben war. Er fand es schön, die Jugendlichen auf ihrem Weg zu begleiten. Jeder Jahrgang war anders, doch etwas hatten alle gemeinsam: «Am Anfang hörte ich die Stimmen der Eltern, am Ende der Ausbildung waren sie sich selbst.»


Eigeninitiative zahlt sich aus

Der Job als Ausbildner scheiterte allerdings beinahe an Peter Roths Sprachfehler. Sein Vorgesetzter zweifelte, dass er mit seinem Stottern Lernende ausbilden konnte, und schickte ihn in einen Kurs. Das habe gar nichts gebracht, meint Roth. So gewöhnte er sich den Sprachfehler einfach selbst ab. «Ich habe mir immer gesagt: Denke an all diese Wörter, die du kannst, und nicht an die, die du nicht kannst.» Heute ist sein Sprachfehler nicht mehr wahrnehmbar.

Roth konnte, bedingt durch einen Kantonswechsel, im Berner Oberland nur die Primarschule besuchen, wo Heuen und Mistzetten wichtiger waren als Deutsch und Französisch. Algebra lernte er eigenständig mit einem Schulbuch, was ihm eine Lehre als Chemielaborant ermöglichte. «Was man sich selbst beibringt, beherrscht man für den Rest seines Lebens», wurde zu seinem Leitspruch und Erfolgsrezept.



Fein säuberlich aufgereiht und nach Verkaufsjahr sortiert: Im Archiv hat jedes Einzelstück sein Plätzchen.



Im Archiv finden sich auch Arzneimittel, die früher Teil des Sortiments der Wander AG waren.

Jahrzehnte später führt uns Peter Roth durch die Produktionshallen der Wander AG. Zahlen, Fakten und Geschichten strömen ohne Pause aus seinem Mund. Auch als längst Pensionierter muss er keine Sekunde überlegen, wie viele Tonnen Malzmaische jeden Tag durch die riesigen Röhren donnern. Alles scheint so logisch und einfach für ihn. Mit der Arbeit in der Produktion verbindet ihn besonders viel, war er doch bei vielen technischen Fortschritten mit dabei.


Technische Entwicklungen dank Peter Roth

Sein unermüdlicher Einsatz zeigte sich, als er ein Team mit 21 Frauen übernehmen durfte, die Produkte von Hand einpacken mussten. Er sorgte dafür, dass die mühsame Handarbeit automatisiert wurde. «Ich versprach den Frauen, dass nach der Sommerpause hier ein PC stehen und ihnen einen Teil der Arbeit abnehmen werde. Sie glaubten mir kein Wort.» Roth legte den Grundstein für die weitere Automatisierung in der Produktion. An einer Messe hatte er den Begriff ‘MES’ (Manufacturing Execution System) aufgeschnappt. Das habe er dann in einer Sitzung vorgeschlagen, ohne genau zu wissen, was es ist. «Mein Chef meinte, ich solle das in die Hand nehmen», erzählt er schmunzelnd. «Seither läuft das.» Die technologischen Fortschritte führten auch zum Abbau von Stellen. Doch er habe immer Glück gehabt. Er musste nie jemanden entlassen und sei enorm froh darüber. Diese Vorstellung habe ihm immer Bauchschmerzen bereitet.


«Hier drin befinden sich 157 Jahre Geschichte mit unzähligen Perlen, die es noch zu entdecken gilt!»



Die Geschichte der Wander AG erzählt Peter Roth im Archiv. Vergilbte Werbeplakate zieren die Wände im Dachstock des Bürogebäudes, alte Ovomaltine-Dosen und andere einstige Produkte füllen die Regale. «Wir haben sogar Originalverträge von 1927 da!» Roth zögert keine Sekunde und zieht die richtige Kiste aus dem Regal. Seit fast zehn Jahren sorgt er hier für Ordnung, jeder Handgriff sitzt. Ab und zu erreichen ihn uralte Hefte, verstaubte Verpackungen oder Bilder von früher. «Die tauchen meist bei Wohnungsräumungen auf.» Roth erfasst die Fundstücke im System und gibt ihnen den richtigen Platz im Archiv. Mittlerweile zählt er rund 6’000 Einzelstücke. Egal ob Babynahrung oder Arzneimittel, jedes Produkt gehört zur Geschichte der Wander AG. «Hier drin befinden sich 157 Jahre Geschichte mit unzähligen Perlen, die es noch zu entdecken gilt!» Wie viel und wann er arbeitet, kann Roth selbst entscheiden. «Hier redet mir niemand rein. Das ist mit ein Grund, wieso ich immer noch da bin: Die Wander AG traut ihren Leuten sehr viel zu.»


Zweifel an Werbeslogans

Und was hält Peter Roth vom Werbeslogan «Mit Ovo chasches nid besser, aber länger»? Er runzelt die Stirn. «Ich bin kein Marketing-Experte, aber da habe ich mir gedacht ´Ui, funktioniert das? Schalten da die Leute nicht ab?’ Aber ihr merkt es selbst, es hat funktioniert, dieser Spruch hallt nach!»

Ovomaltine und Caotina-Schokoladenpulver, dafür ist die Wander AG bekannt. Doch viele weitere Produkte werden hier hergestellt: Isostar, Jemalt, Euceta, Alcacyl, um nur einige zu nennen. Roth nickt verständnisvoll. «Viele Leute kennen einfach die Ovomaltine. Dass Wander noch viel mehr produziert, ist den wenigsten bewusst.» Er selbst hat keinen Favoriten, wählt aber ganz bewusst seine Produkte aus: «Ich mag vor allem die 200-Gramm-Ovoschoggi, die schmeckt nämlich noch besser als die kleinen Tafeln!»


Sophie Ambühl, *1997, studiert im Bachelor Kommunikation in der Vertiefung Journalismus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Sie hat sich von dem unglaublichen Wissen ihres Protagonisten von der Wander AG faszinieren lassen und konnte mit dem Besuch in der Firma ihre Leidenschaft für Knabbereien, vor allem Schokolade, noch vertiefen.

Alina Kilongan, *1994, studiert im Bachelor Kommunikation in der Vertiefung Journalismus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Aufgewachsen im bernischen Gantrischgebiet, in der Nähe von Neuenegg, kannte sie die Wander AG schon vor der Produktion dieses Porträts. Sie hat aber bis dahin das Ovomaltine-Unternehmen nie mit Industriekultur in Verbindung gebracht.


Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.