Ruedi Elser – «Zwischen Pfarrer und Sozialarbeiter»




Text & Bilder: Sarah Dubs und Angela Lang

Der Stofffärber Bernhard Greuter (1745-1822) errichtete im Jahr 1977 den Greuterhof. Die Blaufärberei zählte damals zu den ersten Fabriken der Schweiz. Da die Färberei nicht an ein Gewässer grenzte, liess Bernhard Greuter künstliche Weiher anlegen, um Wasserkraft nutzen zu können. Der Thurgauer war ein Pionier in mancher Hinsicht: Er gründete 1802 auch die erste Sozialversicherung der Schweiz. Aufgrund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurde der Greuterhof im Jahr 1880 stillgelegt. Heute ist er im Besitz der Stiftung Greuterhof Islikon.

Architekt, Bauberater, Denkmalpfleger – Ruedi Elser hat seine berufliche Laufbahn der Baukultur gewidmet. Mittlerweile ist der 66-Jährige pensioniert. Als selbstständiger Bauberater für historische Liegenschaften widmet er sich weiterhin seiner Leidenschaft.



Hat sein Leben der Baukunst gewidmet: Ruedi Elser, hier im Greuterhof Islikon.


Behäbig setzt sich das hölzerne Wasserrad in Bewegung, gemächlich pflügt es sich durch das seichte Wasser. Es ist Zeuge einer Zeit, in der Wasserkraft für den Betrieb von Maschinen noch unentbehrlich war. So auch hier im Greuterhof in Islikon TG, wo von 1777 bis 1880 Textilien gefärbt wurden. Die Blaufärberei zählte damals zu den bedeutendsten Industriebetrieben der Schweiz. Heute dienen die geschichtsträchtigen Räume des Greuterhofes als Tagungsorte und Sitzungszimmer, im Erdgeschoss wird ein Restaurant betrieben.

All dies wäre nicht möglich ohne die engagierten Menschen, die sich für den Erhalt des kulturellen Erbes einsetzen. Einer von ihnen ist Ruedi Elser. Der 66-Jährige ist Präsident der Denkmal Stiftung Thurgau sowie ehemaliger Denkmalpfleger des Kantons. Die Faszination für Architektur und Kultur wurde Ruedi Elser in die Wiege gelegt: «In meiner Verwandtschaft gibt es einige Historiker und geschichtsinteressierte Personen», sagt er. Das Architekturstudium an der ETH Zürich war deshalb naheliegend. Mit dem Wahlfach «Denkmalpflege» legte Ruedi Elser bereits als junger Mann den Grundstein für seine spätere Laufbahn.

Nach dem Studium arbeitete er rund dreissig Jahre lang als selbständiger Architekt, später dann auch als Bauberater. «Als ich älter wurde, habe ich gemerkt, dass es Spass macht, meine Erfahrung weiterzugeben, zu beraten und zu begleiten», erklärt Ruedi Elser den Schritt in die Denkmalpflege, der im Jahr 2008 erfolgte. 


Kein Traumberuf

Diesen Schritt machte er, auch wenn die Denkmalpflege nicht immer eine dankbare Aufgabe ist. Es kann vorkommen, dass Eigentümer nicht damit einverstanden sind, wie mit ihrer Liegenschaft verfahren werden soll. «Ich kenne niemanden, der sagt, dass Denkmalpfleger ein Traumberuf sei», sagt Ruedi Elser und lacht. Doch er hat gelernt, mit dem Widerstand umzugehen. «Hier hilft sicher auch meine Erfahrung», meint er dazu. «Ich bin gut vorbereitet und werde nicht mehr so schnell nervös.»

Seiner Meinung nach ist es wichtig, den Eigentümern gut zuzuhören und zu spüren, was sie beschäftigt. So liessen sich die meisten Probleme lösen. Er sieht sich denn auch als Vermittler zwischen Bevölkerung und Gemeinde. «Ich agiere manchmal sozusagen zwischen Pfarrer und Sozialarbeiter», sagt er und lacht.


Wille des Volkes

Meistens jedoch, betont Ruedi Elser, seien Besitzer von denkmalgeschützten Gebäuden stolz und möchten diese auch erhalten. In seiner Laufbahn als Denkmalpfleger habe es sehr selten Situationen gegeben, in denen ein Gebäude abgerissen wurde, etwa weil eine Renovation zu kostenintensiv gewesen wäre. Dazu kommt, dass sich der Denkmalschutz auf Gesetze und Erlasse stützt und nicht nur auf individuelle und persönliche Einschätzungen. «Ein Denkmalpfleger hat gar nicht so viel Entscheidungsfreiheit, wie gemeinhin angenommen wird», erklärt Ruedi Elser. «Die Erhaltung von kultureller Zeitgeschichte ist auch ein Wille des Volkes», sagt er und räumt mit dem Vorurteil auf, dass sich die Denkmalpflege oft im Gegenwind befände. Im Kanton Thurgau unterliegt sie dem Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Natur und der Heimat (TG NHG 1992).

Auch weitere Abstimmungen zu Raumordnung und Naturschutz sind vom Volk immer wieder aufs Neue angenommen worden. «Postkarten zeigen oft das Dorf mit der Kirche oder eine Altstadt. Das zeigt, dass die Menschen möchten, dass dieses Bild erhalten bleibt.»


Alte Gebäude, neue Verwendung

Bei Bauten aus der Industriekultur ist der ästhetische Wert oft nicht auf den ersten Blick sichtbar, da es sich dabei oft um Fabrikhallen wie beispielsweise die ehemalige Stickerei Heine in Arbon TG handelt. Diese überzeugen auf den ersten Blick nicht unbedingt mit ihrer Schönheit, trotzdem sind sie wertvolle Zeitzeugen. Als selbständiger Architekt hat Ruedi Elser in seiner Karriere häufig mit solchen Objekten gearbeitet, etwa wenn er die Umnutzung von leerstehenden Fabrikhallen plante. «Wichtig ist, dass für historische Bauten ein neuer, geeigneter Verwendungszweck gefunden wird», sagt er.

«Für mich ist immer jenes Projekt am spannendsten, mit dem ich mich aktuell beschäftige.»


Beliebt sind beispielsweise Kombinationen aus Restaurant, Eventräumen und Museum. So lässt sich unter anderem auch die Finanzierung des Erhalts der historischen Bauten sicherstellen. Umbau und Renovation von historischen Gebäuden gestalten sich nicht immer einfach. «Auch alte Gebäude müssen beispielsweise bezüglich der Brandschutzsicherheit den neuesten Vorschriften entsprechen», erklärt Ruedi Elser. Aus diesem Grund wurden im Greuterhof kürzlich Brandschutztüren eingebaut. Auch ein Lift wurde im alten Treppenhaus installiert, dadurch sind die Räume auch für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, zugänglich.


Lebenslange Leidenschaft

Ruedi Elsers Expertise war auch bei den Renovationen und Umbauten des Greuterhofes immer wieder gefragt. Hat die Arbeit mit architektonischen oder kulturellen Ausnahmewerken für ihn einen besonderen Reiz? «Für mich ist immer jenes Projekt am spannendsten, mit dem ich mich aktuell beschäftige», verneint Ruedi Elser. «Dem widme ich dann auch meine volle Aufmerksamkeit.» Das gilt noch heute – auch nach seiner Pensionierung. Als selbstständiger Bauberater steht er Personen zu Seite, die Hilfe beim Umbau oder Erhalt ihrer historischen Liegenschaft benötigen. Wie beispielsweise jenem Herrn, der Ruedi Elser auf seinem Rundgang durch den Greuterhof kurzerhand darauf anspricht, ob er ihm nicht mit fachlichem Rat beim Umbau seiner über 100-jährigen, denkmalgeschützten Scheune beratend zur Seite stehen könne. Eine Anfrage, die Ruedi Elser noch so gerne annimmt.


Sarah Dubs, *1991, studiert Kommunikation an der ZHAW, zuvor hat sie ein journalistisches Praktikum absolviert und ursprünglich eine Lehre als Pferdefachfrau abgeschlossen. Ihre Eltern haben sie bereits als kleines Kind häufig ins Museum mitgenommen, dies hat in ihr früh das Interesse für Kultur geweckt.

Angela Lang, *1996, studiert Kommunikation an der ZHAW. Zuvor hat sie die Handelsmittelschule absolviert und danach im kaufmännischen Bereich gearbeitet. Bei einer Führung durch das Bergwerk Gonzen in Sargans kam sie als Kind zum ersten Mal mit Industriekultur in Berührung. An dieses Erlebnis kann sie sich bis heute gut erinnern. 


Das Portrait entstand 2022 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.