Sidonie Koch – «Kulturvermittlung ist anstrengend, aber super erfüllend»



Text & Bilder von Samuel Meier und Adrian Oberer   



Seit 1976 erzählt das Strohmuseum in Wohlen (AG) auf Initiative engagierter Bürgerinnen und Bürger die Geschichte der hiesigen Strohindustrie. Als Kulturvermittlerin ist es Sidonie Koch wichtig, dass gerade auch Schulkinder diesen wichtigen Teil der Wohler Industriekultur kennenlernen – von der Heimarbeit im 17. Jahrhundert bis hin zur industriellen Produktion im 19. und 20. Jahrhundert, deren Strohhüte weltweite Bekanntheit erlangten. Regelmässig besuchen Schulklassen das Museum im Isler Park, wobei die Kinder auch gleich selbst Hand anlegen können.

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Sidonie Koch arbeitet als Kulturvermittlerin im Schweizer Strohmuseum in Wohlen. Die angehende Primarlehrerin hat erst spät zur Kultur und zur Arbeit mit Kindern gefunden, ist dafür aber umso mehr davon fasziniert.



Kulturvermittlerin Sidonie Koch im Strohmuseum. Besonders die Arbeit mit den Kindern schätzt sie sehr. Quelle: Adrian Oberer, Wohlen.

«Es ist wichtig, in Wohlen über die Geschichte mit dem Stroh zu informieren», erklärt Sidonie Koch. Das sagt die 40-jährige Kulturvermittlerin des Schweizer Strohmuseums nicht ohne Grund. Die Strohindustrie und speziell die Wohler Strohhüte machten das Freiämter Dorf in der Vergangenheit weltberühmt. Damit dieser bedeutende Teil der Wohler Kultur nicht in den Annalen der Geschichte untergeht, arbeiten Koch und das Museumsteam täglich daran, auch den jüngeren Generationen die Bedeutung und den Stellenwert der Strohindustrie und der Wohler Strohhüte zu vermitteln.

Ein erstes Mal mit der Strohindustrie in Kontakt kam Koch in ihrem Studium als Textildesignerin an der Kunstschule in Luzern, als sie für eine Arbeit das Stroh ins Zentrum gestellt hatte: «Da habe ich gemerkt, dass es erste Verbindungen auch zu meiner Familie gibt. Die geflochtenen Trachtentaschen meiner Grosseltern zum Beispiel.» So richtig begeistert hat die Strohindustrie Koch damals aber noch nicht. Sie entschied sich, weiter als Textildesignerin und Augenoptikerin, was sie ursprünglich gelernt hatte, zu arbeiten.

Über Beziehungen zum Traumberuf

Eine berufliche Veränderung hatte sich Koch aber immer gewünscht. So kam die Anfrage über das Beziehungsnetz im Dorf gerade recht, ob sie denn nicht als Kulturvermittlerin einsteigen wolle. «Ich hatte es damals noch nicht so mit Kindern. Aber ich habe mir gedacht, das probiere ich jetzt mal», beschreibt Koch ihren Einstieg in den Kulturbetrieb in Wohlen. «Das hat mir dann so gut gefallen, dass ich jetzt sogar die Ausbildung zur Primarlehrerin mache.» Der Job im Strohmuseum bringt ihr viel: «Kulturvermittlung ist anstrengend, aber super erfüllend.»



Der Wohler Strohhut. Zu Hochzeiten weltweit bekannt, mittlerweile vor allem noch bei der lokalen Bevölkerung beliebt. Quelle: Felix Wey, Baden.



Die imposante Villa Isler im gleichnamigen Park in Wohlen. Mit dem ehemaligen Zuhause des Stroh-Barons hat das Schweizer Strohmuseum den richtigen Ort gefunden. Quelle: Felix Wey, Baden.



In der alten Hutpresserei wurde auf Hochtouren gearbeitet. Diverse Impressionen aus vergangener Zeit lassen sich im Museum finden. Quelle: Felix Wey, Baden.

Das Schweizer Strohmuseum widmet sich der umfangreichen Geschichte der Freiämter Hutgeflechtindustrie. In der altehrwürdigen Villa Isler, dem ehemaligen Zuhause eines bedeutsamen Stroh-Barons aus Wohlen, finden sich über drei Stockwerke verteilt zeitgeschichtliche Dokumente, Exponate wie geflochtener Schmuck und Strohhüte verschiedenster Art sowie zahlreiche weitere Beispiele der einst florierenden Strohindustrie.

«Die Kinder können das Material hautnah erleben und lassen sich dabei auch vom Stroh begeistern.»


Die Besuchenden vollziehen eine Reise durchs 18. und 19. Jahrhundert, von den Zeiten der Heimarbeit durch die Epoche der industriellen Massenproduktion bis hin zum Niedergang der Industrie gegen Ende des 20. Jahrhunderts.

Kinder können selbst Hand anlegen

Viel Wert legt das Strohmuseum auf die Vermittlung der Geschichte an Kinder. So besuchen oft Schulklassen aus der Region das Museum. Dabei erhalten die Schülerinnen und Schüler einerseits eine Führung durch die oberen Stockwerke, andererseits können sie im unteren Teil der Ausstellung beim Flechten von Schlüsselanhängern selbst tätig werden.



Die Kinder im Museum betrachten beeindruckt die Ausstellungsstücke. Mit speziellen Angeboten für Kinder und Schulklassen zieht das Museum auch die ganz junge Zielgruppe an. Quelle: Felix Wey, Baden.

«Die Kinder können das Material hautnah erleben und lassen sich dabei auch vom Stroh begeistern», erklärt Koch. Natürlich seien nicht alle Kinder gleich eifrig – doch eins falle immer wieder auf: «Die jüngeren Kinder sind im Umgang mit dem Stroh viel geschickter als die älteren und dabei sogar deutlich geschickter als die Erwachsenen.»

Früher fand sie Museen langweilig

Auch in ihrer Freizeit geht Koch gerne in verschiedene Museen. Das war aber nicht immer so. In ihrer Kindheit wurde sie oft in Ausstellungen «mitgeschleppt», weil ihr älterer Bruder sehr an den Römern interessiert war. «Mein Vater musste dann auch noch immer alles lesen. Ich war ein sehr aktives Kind und bin immer wieder gegen die Schaukästen gestossen, sodass ich regelmässig einen Rüffel von einem Aufseher bekam.»

Heutzutage ist die dreifache Mutter häufig an Ausstellungen zu Kunst- und Designthemen anzutreffen, da sei ihr Interesse gross. Stundenlang in einem Museum verweilen will sie aber auch heute noch nicht: «Irgendwann ist dann auch mal wieder gut.»

Der Strohhut als Identitätsmerkmal

Im Schweizer Strohmuseum wird eine Industrie erklärt, die ihren Höhepunkt längst hinter sich hat. Doch trotzdem lässt sich auch in der heutigen Zeit noch immer Vieles finden, was an die glorreiche Stroh-Zeit in Wohlen zurückerinnert. Für das Aargauer Dorf mit seinen knapp 17'000 Einwohnern ist der Wohler Strohhut identitätsstiftend. «Für die ältere Generation hat Stroh schon noch eine Bedeutung. Fast alle haben einen Strohhut zuhause, das ist schon bemerkenswert.»

Bei den jüngeren Wohlern und Wohlerinnen geht die Verbindung zum Stroh jedoch immer mehr verloren. Das findet Koch zwar schade, sie sagt aber auch: «Das ist wie mit der Sprache, die verändert sich auch. Es ist natürlich, dass man sich weiterentwickelt.»

Stroh bleibt ein wichtiges Material

Ganz in Vergessenheit geraten wird die Strohindustrie in Wohlen in naher Zukunft aber nicht. Dafür sorgen nicht nur das Museum mit seinen wechselnden Ausstellungen und das Archiv, in dem viele wichtige alte Erzeugnisse aufbewahrt werden. Wenn sich am Morgen nämlich die Tür zum Museum öffnet und der Geräuschpegel steigt, ist Koch bereits wieder dabei, die nächste Generation für diese einmalige Kulturgeschichte zu begeistern.  



Samuel Meier, *1997, studiert Kommunikation mit der Vertiefungsrichtung Journalismus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Als gebürtiger Wohler kam auch er bereits als Kind in den Genuss einer Führung durch das Strohmuseum. Der Wohler Strohhut gehört für ihn an so manchem Dorffest zur Grundausstattung.

Adrian Oberer, *1996, studiert Kommunikation mit der Vertiefungsrichtung Journalismus an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Kein waschechter Wohler, hat er dennoch die meiste Zeit seines Lebens in Wohlen gewohnt. Das Buchzeichen, das er bei seinem ersten Besuch als Schulkind im Strohmuseum flocht, benutzt er heute noch.

Das Portrait entstand 2023 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.