Andreas Bommer – «Es braucht auch andere Orte als die Schule, wo Wissen vermittelt wird»



Text & Bilder von Alexandra Lergier und Alexandra Müller    



Das Mühlerama in Zürich Tiefenbrunnen veranschaulicht anhand seiner über 100-jährigen Mühle das Handwerk der Müllerei. Es ist die älteste Mühle im Raum Zürich, die noch in Betrieb ist – fast täglich wird hier Mehl produziert. Besucher*innen können den Weg vom Korn zum Brot nicht nur verstehen, sondern auch selbst miterleben: Durch zahlreiche interaktive Stationen wie eine Mahl- und Backwerkstatt. Das Museum präsentiert zudem wechselnde Ausstellungen über Genuss, Gesundheit und Ökologie in der Lebensmittelindustrie.

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Mehl ist ein wichtiger Bestandteil vieler Nahrungsmittel. Wie genau das Korn zum Mehl und schliesslich zum Brot wird, erzählt das Mühlerama in Zürich Tiefenbrunnen. Andreas Bommer vermittelt auf abwechslungsreise Weise diesen aufwendigen Herstellungsprozess.



Andreas Bommer teilt seit bald zwei Jahrzehnten seine Begeisterung und sein Wissen über die Mehl- und Brotproduktion.

Gipfeli, Weggli, Büürli oder Zopf: Rund 50 Kilogramm Brot essen Schweizer*innen laut der Bauernzeitung im Durchschnitt pro Jahr. Aber was steckt eigentlich alles in der Herstellung eines Brotes? Das Mühlerama in Zürich Tiefenbrunnen stellt die Grundzutat Mehl in den Mittelpunkt. Durch eine ratternde Mühle, eine Brotbackwerkstatt und nicht zuletzt durch die persönliche Vermittlung von Andreas Bommer wird der Museumsbesuch zu einem interaktiven Erlebnis.

Lernen und Erleben: Das interaktive Mehl- und Brotabenteuer

Bommer ist seit fast zwei Jahrzehnten als Leiter der Mühle tätig und inspiriert das breite Publikum des Mühleramas – von Schulklassen über Senior*innen bis zu Bankergruppen. «Das Angebot bei uns ist sehr vielseitig, entsprechend kommen unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Interessen zu uns», erklärt Bommer. Begeistert erzählt er von einem 60-jährigen Mann, der bei ihm zum ersten Mal im Leben einen Brotteig in den Händen hielt, und von Schulkindern, die denken, Mehl sei aus Milch gemacht. Auf diese unterschiedlichen Hintergründe und Interessen einzugehen, ist für Bommer ein wichtiges Anliegen und eine Herzensangelegenheit. «Es braucht auch andere Orte als die Schule, wo Wissen vermittelt wird», erklärt er.



Was an der laufenden Mühle nicht sichtbar ist, erklärt Bommer anhand eines Modells.



Beliebte Rutschbahn im Mühlerama: Ein Highlight für Schulkinder im Vermittlungsangebot.

Bei seiner Vermittlungsarbeit verfolgt Andreas Bommer eine klare Mission – er möchte nicht nur Wissen weitergeben, sondern die Besucher*innen auch aktiv einbeziehen. Es sollen verschiedene Sinne angesprochen werden, um das Gelernte zu vertiefen: Besucher*innen können in der Mahl- und Backwerkstatt Korn zu Mehl und weiter zu einem Brötchen verarbeiten. Wer sich zudem in die Kunst des Kochens und Backens vertiefen möchte, kann das vielfältige Workshop-Angebot nutzen. Im Mühlerama geht es in erster Linie um das kreative Erleben und Ausprobieren. So können die Besucher*innen direkt nachvollziehen, wie viel Arbeit und Handwerk hinter der Herstellung von Mehl und Brot steckt. Für Bommer ist das der Schlüssel zu einem nachhaltigen und sinnvollen Lernprozess. 

Aus seinen früheren Erfahrungen als Primarschullehrer weiss Andreas Bommer, dass es verschiedene Lerntypen gibt. Diese versucht er auf kreative Weise anzusprechen – durch Texte, einen Audioguide, Videos, interaktive Stationen und nicht zuletzt die täglich laufende Mühle. Auch die Rutschbahn, die früher dem Transport der Mehlsäcke diente und nun zu einer aufregenden Attraktion für die jüngeren Besucher*innen geworden ist, gehört dazu. «Klar möchte ich, dass die Besucher*innen im Mühlerama etwas lernen, aber das Erlebnis schmälert das Gelernte nicht.» 

Hinter den Kulissen der Lebensmittelproduktion

Das Mühlerama zeigt nicht nur die Mehlproduktion, sondern öffnet auch die Augen für die Arbeit, die in allen fertigen Produkten steckt. «Im Mühlerama sieht man, was Industrie bedeutet: Man sieht den ganzen Aufwand, den es für ein Produkt wie Mehl braucht», meint Bommer.



Eine über 100-jährige Mühle will gepflegt sein: Das Instandhalten des Mahlwerks gehört zu Bommers Arbeitsalltag.

So können Besucher*innen nach einem Besuch im Mühlerama den Preis von Mehl auch tatsächlich nachvollziehen. Der Weg vom Produzenten zur Konsumentin werde immer weiter und komplizierter, deshalb ist es Bommer so wichtig, dass wir die Industrialisierung auch heute noch am Beispiel der Mühle sehen. Auch um zu verstehen, wie sich die Lebensmittelproduktion entwickelt und wie unsere Gesundheit, Kultur und Umwelt durch unser Essverhalten beeinflusst wird. Dieses Bewusstsein wecken auch die wechselnden Sonderausstellungen, welche die alte Mühle mit der Lebensmittelkultur der Gegenwart verbinden. 

Leidenschaft und Herzlichkeit: Das Erfolgsrezept hinter dem Mühlerama 

Seit Andreas Bommer im Mühlerama arbeitet, weiss er, dass er am richtigen Ort angekommen ist. Er blickt auf verschiedene Berufsfelder zurück – unter anderem die Schule, den Bau und das Gastgewerbe – die ihn alle nicht erfüllten. Doch im Mühlerama fand er eine perfekte Mischung: «Meine Arbeit ist sozial, handwerklich, kognitiv und mit viel Bewegung verbunden», erklärt er. Als Leiter ist er verantwortlich für die über 100-jährige Mühle und produziert täglich frisches Mehl. Genauso gehören aber auch Büroarbeit, handwerkliche Tätigkeiten und der direkte Kontakt zu den Besucher*innen zu seinem abwechslungsreichen Arbeitsalltag.

«Es ist schwer vorstellbar, dass eine andere Arbeitsstelle mit dem Mühlerama konkurrieren kann – mit dieser Freiheit, die ich hier habe und mit dem guten Team», erzählt er weiter.



Ein Team wie eine gut funktionierende Maschine – hier beim gemeinsamen Mittagessen.

Wenn Bommer über sein Team im Mühlerama spricht, strahlt er förmlich. Für ihn ist es nicht nur eine Gruppe von Arbeitskolleg*innen, sondern eine eng verbundene Familie. Es gibt keine strikte Trennung zwischen Freizeit und Arbeit: Gemeinsame Aktivitäten und Anlässe sind ein wichtiger Bestandteil, um den Zusammenhalt untereinander zu stärken. Davon profitiert auch der Museumsbetrieb: «Wir hören oft von Gästen, dass hier eine sehr herzliche Stimmung herrscht», meint Bommer. Um einen unvergesslichen und pädagogisch wertvollen Besuch im Mühlerama zu ermöglichen, spielt das Team eine genauso wichtige Rolle wie die Mühle selbst: «Wir sind wie eine Maschine, die perfekt funktioniert.»


Alexandra Lergier, *2000, studiert Kommunikation mit Schwerpunkt Organisationskommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie liebt den Duft von frischem Brot in der Luft. Durch die Begeisterung ihres Protagonisten konnte sie viel über die Mehlproduktion sowie die dahinterstehende Industrialisierung lernen.  

Alexandra Müller, *1999, studiert ebenfalls Kommunikation mit Schwerpunkt Organisationskommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Kulturelle Vermittlung liegt ihr am Herzen – daher studiert sie im Herbst im Master Kulturpublizistik an der ZHdK weiter.

Das Portrait entstand 2023 im Rahmen einer Kooperation von Industriekultur Spot mit dem IAM, Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.